Sie sind hier: Startseite / Publikationen / Basler Schulblatt / Artikel / «Das Optimum herausholen»

Artikelaktionen

«Das Optimum herausholen»

31.03.2025
Wie steht es um die Berufsbildung in unserem Kanton? Ein Interview mit Patrick Langloh, Leiter Mittelschulen und Berufsbildung, über die aktuelle Situation, über Grenzen und Möglichkeiten und einen Masterplan.
Patrick Langloh sitzend im Treppenhaus in der BFS
Bild Legende:
Patrick Langloh, Leiter Mittelschulen und Berufsbildung

In den kommenden Jahren soll die Berufsbildung gestärkt werden. Weshalb?

Berufsbildung ist die beste Vorbereitung auf die Arbeitswelt. Sie sichert die Arbeitsmarktfähigkeit und die Möglichkeit, dass junge Menschen im Erwerbsleben ihr Einkommen erzielen und ihr Leben selbstbestimmt gestalten können. Zudem hat Berufsbildung eine integrative Funktion: Sie ermöglicht einen direkten Zugang in die Gesellschaft, die Arbeitswelt und in die Wirtschaft. Und dann gibt es noch eine nationale Vorgabe, der wir Rechnung tragen müssen: Vor 20 Jahren hat die Konferenz der kantonalen Erziehungsdirektorinnen und -direktoren (EDK) gemeinsam mit dem Bund festgelegt, dass 95 Prozent der 25-Jährigen einen Erstabschluss auf der Sekundarstufe II haben sollen. Gesamtschweizerisch erreichen wir aktuell 90.1 Prozent, Basel-Stadt liegt mit 85.4 Prozent direkt vor Genf an zweitletzter Stelle. Wir finden das natürlich nicht toll. Es gibt jedoch einen interessanten Zusammenhang: Kantone mit einem hohen Anteil an Berufsbildung haben auch einen hohen Anteil an Abschlüssen auf der Sekundarstufe II. Wenn wir also gezielt die Berufsbildung fördern, ist das auf jeden Fall hilfreich mit Blick auf dieses Ziel der 95 Prozent.

Wurde in den vergangenen Jahren eine Entwicklung verschlafen?

Nein, das kann man so sicher nicht sagen. Wir haben als Stadtkanton im Vergleich mit ländlich geprägten Kantonen einfach besonders grosse Herausforderungen zu bewältigen. Als erstes ist da die fehlende Sichtbarkeit des Gewerbes zu nennen. Wir haben ein Platzproblem in unserer Stadt, der Raum ist kostbar. Die Gewerbeflächen mit ihren Maschinen und Lagern liegen an der Peripherie der Stadt oder in Hinterhöfen. Das ist ein Unterschied zu ländlichen Regionen, wo die Situation viel überschaubarer ist. In einem Dorf kennt man die Schreinerei. Man weiss, was ein Sanitärbetrieb macht, weil man den Berufsalltag vor Ort mitbekommt. Bei uns ist vieles ausgelagert, an den Rand gedrängt. Das erschwert für junge Menschen den Zugang. Stark vertreten sind der Dienstleistungssektor, die kaufmännischen Berufe und die Berufe im Detailhandel. Aber das ist eben nicht alles.

Dann steht die Berufsbildung also in einem Zusammenhang zu den Kantonsgrenzen?

Ja. Bei Bildungsfragen merkt man sehr stark, dass wir als Stadtkanton vom Umland abgetrennt sind. Es machen sich kleinste Verschiebungen bemerkbar: Zieht etwa ein Betrieb wenige Meter über die Kantonsgrenze ins Gewerbegebiet nach Allschwil, verlieren wir im Kanton Basel-Stadt wertvolle Ausbildungsplätze. So ein Problem gibt es in Bern oder Zürich nicht. Umso wichtiger ist eine gute Zusammenarbeit mit dem Kanton Basel-Landschaft. Wir stehen in einem engen Austausch und pflegen viele Leitungsvereinbarungen gemeinsam.

Gibt es noch weitere Herausforderungen?

Wir haben in unserem Kanton einen überdurchschnittlich hohen Anteil an hoch spezialisierten Arbeitsplätzen im akademischen, wissenschaftlichen Bereich, darunter sind viele Kaderpositionen. Das Bild der Stadt wird stark von den Roche-Türmen oder dem Novartis-Campus geprägt, also von einem internationalen, stark kompetitiven Arbeitsfeld. Da besteht bei der Bevölkerung schnell einmal das Gefühl, man müsse zwingend eine mehrsprachige Ausbildung an einem Gymnasium absolvieren, um in dieser Stadt bestehen zu können. Das ist jedoch eine Verzerrung, denn die Arbeitnehmenden sind ja nicht an den Kanton gebunden. Es gibt Ströme von Pendlerinnen und Pendlern aus der Stadt hinaus, im Gegenzug Arbeitnehmende, die aus den benachbarten Kantonen oder dem Ausland zu uns kommen. Zudem fehlen uns genügend sichtbare familiäre Vorbilder, die positive Beispiele und erfolgreiche Karrieren in der Berufsbildung zeigen.

Es geht also darum, die Bilder in den Köpfen der Menschen zu verändern?

Ja, es geht um Sehgewohnheiten und um Haltungsänderungen. In unserer Stadt leben viele Menschen mit Migrationserfahrung. Egal, ob sie aus Nordwesteuropa oder aus Südosteuropa kommen, in beiden Regionen hat die Berufsbildung einen schlechten Ruf. In England kennt man kein duales Berufsbildungssystem. Auch in Südosteuropa gibt es die Berufsbildung, wie wir sie kennen, nicht. Erschwerend kommt dazu, dass aus Südosteuropa viele Menschen ohne Abschluss zu uns gekommen sind. Sie landeten bei einfachen Arbeiten und konnten keine Karrieren machen. So wurden sie darin bestärkt, dass der Weg der Berufsbildung nirgends hinführt und trimmen jetzt ihre Kinder in Richtung Gymnasium. Das sind die Bilder, mit denen wir zu tun haben. Um den Stellenwert und die Chancen der Berufsbildung in der Schweiz aufzuzeigen, braucht es Aufklärung und Information.

Wie wollen Sie das erreichen?

Wir haben eben erst den Masterplan Berufsbildung entwickelt. Das ist eine Art Gesamtschau, wie wir die Berufsbildung konkret fördern und pushen wollen. Dieser Masterplan gründet in der Strategie des Bereichs Mittelschulen und Berufsbildung und hat Synergien mit dem bereichsübergreifenden Ansatz «Laufbahnorientierung im integrativen Bildungsmodell (LiB)». Wir beginnen jetzt mit der Umsetzung. Am Anfang steht eine Analyse der Lehrstellensituation in unserem Kanton. Wir machen uns aber auch Gedanken, wie wir Berufliche Orientierung an den Sekundarschulen stärken können. Oder sind gemeinsam mit dem Gewerbeverband daran, noch mehr Betriebe zu motivieren, Lernende auszubilden. Wenn wir die Berufsbildung stärken wollen, brauchen wir gute Ausbildungsmöglichkeiten und eine grosse Bandbreite an unterschiedlichen Betrieben. Die Heterogenität bei den Lernenden ist sehr gross. Wir müssen ganz unterschiedliche Bedürfnisse mitdenken. Ein wichtiger Punkt im Masterplan umfasst daher auch die Förderung benachteiligter Jugendlicher.

Wann haben Sie diesen Masterplan fertig umgesetzt?

Ich vergleiche die Berufsbildung gerne mit einer Pflanze. Damit sie gut wachsen kann, muss sie laufend gewässert und gedüngt werden. Wir werden in den nächsten vier Jahren sehen, ob sich die Situation in die richtige Richtung entwickelt. Aber das Thema wird uns dauerhaft beschäftigen. Die Bildungswelt ist im Wandel. Mit der Digitalisierung und vor allem auch mit der KI wird sich unsere Berufs- und Ausbildungswelt stark verändern. Die Berufsbildung ist diesen Veränderungen viel unmittelbarer ausgesetzt als das etwa in den weiterführenden Schulen der Fall ist. Sobald sich etwas in der Berufswelt ändert, hat das direkt Auswirkungen auf den Lehrbetrieb.

Stossen Sie irgendwo an Grenzen?

Die Berufsbildung ist national gesteuert. Es gibt klare Vorgaben wie etwa das Qualifikationsverfahren (QV) aussieht oder die Abschlussprüfungen organisiert sind. Das müssen wir selbstverständlich beachten. Wir haben unsere Massnahmen den gesetzlichen Rahmenbedingungen angepasst. Zudem gibt es natürlich finanzielle und personelle Grenzen, wir sind eine kleine Abteilung. Wir versuchen durch eine geschickte Priorisierung das Optimum herauszuholen.

Interview: Charlotte Staehelin, Foto: Grischa Schwank