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Der Schwerpunkt ist weg, doch die Aufgabe bleibt

25.06.2024
Anfang Juni trafen sich Teams von 24 Schulstandorten in der Markthalle. Zum Abschluss des Schwerpunkts Sprachbewusster Unterricht (SBU) teilten sie ihre Ergebnisse miteinander. Ergänzt wurde der Markt durch Stände der Bibliothek und der Fachexpertinnen und Fachexperten des Pädagogischen Zentrums PZ.BS. Zu Besuch bei unterschiedlichen Ständen.
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Am SBU-Markt gab es viel zu entdecken.

Bei zwei Aussagen waren sich alle Anwesenden einig: Der Begriff «SBU» greift viel zu kurz, denn Sprachbewusstsein sollte die ganze Schule umfassen – vom Elternbrief über die Tagesstruktur bis zum Test. Und: Auch wenn die Volksschule nun neue Schwerpunkte setzt, bleibt das Thema «Sprachbewusste Schule» relevant. Die Verantwortung dafür geht nun an die Schulen, welche die Arbeit weiterführen. Zum Glück haben sie schon viele Erfahrungen gesammelt, von denen sie profitieren können.

Was ist sprachbewusster Unterricht?

Sprachbewusster Unterricht zielt darauf, die Schülerinnen und Schüler beim Lernen mit Sprache und beim Erwerb von (fachspezifischen) Sprachkompetenzen gezielt zu unterstützen. Dabei geht es einerseits darum, ihre Teilhabe am Unterricht zu verbessern, andererseits darum, die Schülerinnen und Schüler sprachlich auf die Anforderungen in Beruf und Gesellschaft vorzubereiten.

Was sagt die Forschung zum Thema SBU?

In einem Referat stellte die Sprachwissenschaftlerin und Sprachdidaktikerin Claudia Schmellentin von der Pädagogischen Hochschule der FHNW den Stand der Forschung zum Thema vor.

Über 20 Prozent «verstehen ziemlich wenig»

Mit Blick auf die PISA-Ergebnisse meinte Schmellentin: «Wir müssen uns Sorgen um die Lesekompetenz machen.» 24 Prozent der Schülerinnen und Schüler erreichen die Kompetenzstufe II nicht – das heisst: «Sie verstehen ziemlich wenig.» Man müsse es aber auch nicht dramatisieren, denn dieser Wert habe sich in den letzten 20 Jahren kaum verändert. «Es ist nicht schlechter geworden, aber wir haben Luft nach oben», so Schmellentin.

Brüche beim Spracherwerb in der Schullaufbahn

Im Kindergarten werde viel vorbereitet, doch dies werde oft nicht kohärent über alle Stufen durchgezogen. Gerade in der 1. Klasse werde oft der Schrifterwerb ins Zentrum gesetzt, der restliche Spracherwerb könne vor lauter Buchstabenlernen verkümmern. Das Mündliche aus dem Kindergarten müsse weitergezogen werden, gerade ausserhalb des Deutschunterrichts. Im 2. Zyklus dürfe die Lese- und Schreibflüssigkeit nicht vergessen werden, denn danach folge laut Schmellentin die grösste Bruchstelle: der Wechsel in die Sekundarschule. Plötzlich gehe es nicht mehr ums Lesenlernen, sondern darum, sich durch das Lesen Inhalte zu erschliessen (vom «learning to read» zum «reading to learn»). Geschehe dieser Wechsel abrupt, hänge man viele ab, sagte Schmellentin.

Laut Schmellentin enthalten viele Lehrmittel auf der Sekundarstufe I Texte auf den Kompetenzstufen IV oder V, etwa im NT- oder Geschichts-Unterricht. Diese Stufe erreichen gemäss PISA 48 Prozent der Schweizer Jugendlichen nicht. Wer nicht flüssig lesen kann und dadurch basale Verstehenskompetenzen nicht erreicht, komme nicht auf höhere Ebenen des Verstehens, sagt Schmellentin. Für diese Schülerinnen und Schüler sei es auch nicht möglich, ohne zusätzliche Anleitung selbstorganisiert zu lernen. Eine Aufbereitung von sprachbedingten Lehr- und Lernprozessen durch die Lehrperson sei zwingend.

Lesestrategien dem Fach anpassen

Wichtig sei, dass man in allen Fächern immer dieselben Leseschritte mache, die Strategien aber dem Fach anpasse. Während bei einem Geschichtstext «Streiche die wichtigen Stellen an» eine gute Strategie sein könne, seien naturwissenschaftliche Texte dafür meistens zu dicht. Hier empfiehlt Schmellentin langsames Lesen als Strategie.

Indem Lehrpersonen das Lesen anleiten, würden sie den ersten Schritt gehen auf dem Weg zur Selbstregulation. «Gerade die Schwächeren brauchen diese Anleitung», sagt Schmellentin – am besten persönlich und nicht schriftlich. Die sich wiederholenden Muster geben laut Schmellentin Sicherheit und führen zum grossen Ziel von SBU: Dass die Schülerinnen und Schüler selbstständig mit anspruchsvollen Texten umgehen und diese zum Weiterlernen nutzen können.

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Sybille Burkarts Mäppchen unterstützen die Schülerinnen und Schüler dabei, eine Geschichte zu erfinden.

INHALTE STRUKTURIEREN UND BILDER LESEN

Evelyne Wanzenried, Kindergarten PS Niederholz

«Dieses Jahr habe ich in beiden Kindergartengruppen die Ideensonne eingeführt. In einem ersten Schritt schreiben sie ihren Namen auf einen Strahl und jedes Kind zeichnet dann sein Lieblingsessen und seine Lieblingsfarbe. Dann haben wir Verbindungen hergestellt: Das Kind mag auch Rot oder isst auch gerne Pizza. Das haben sie dann in einem ganzen Satz vorgestellt: ‹Ich heisse … ich habe gerne … und mein Lieblingsessen ist …›. Das konnten schon die ganz Kleinen. Später haben wir auch Ideensonnen zu Themen gemacht, etwa zur Herbstmesse oder zur Entwicklung eines Froschs. Die Ideensonne ist wie ein einfaches Mindmap, sie hilft, Informationen zu strukturieren und Verbindungen herzustellen.

 Und ich habe auch das aufmerksame Anschauen von Bildern trainiert. Ich habe Bildausschnitte aus einem Buch kopiert und laminiert. Diese Bilder mussten die Kinder dann im Buch wiederfinden (Umkehrübung aus dem Fünf-Schritte-Modell). Es war spannend, wie viele Kinder mit dem Buch fertig waren und nur zwei Kärtchen zugeordnet hatten. Dieses bewusste Schauen ist für mich eine wichtige Grundlage für das Sprachbewusstsein.

 Unsere Arbeitsgruppe SBU hat gemeinsam mit Regula Rohland vom PZ.BS und Claudia Reinau pädagogische Nachmittage für die ganze Schule organisiert. Am Schluss haben wir unsere Ergebnisse an einem SBU-Markt miteinander geteilt. Da haben dann auch Lehrpersonen der 6. Klasse gesehen, was wir im Kindergarten machen – und umgekehrt. Jetzt haben wir eine Broschüre, die ‹Ideensammlung›, und ein Teams-Team, in dem alle ihre Vorlagen und Ideen teilen.»

KREATIVITÄT ÜBEN UND DEN WORTSCHATZ ERWEITERN

Sybille Burkart, Primarschule Wasgenring, 1. Zyklus

«Wir haben oft das Problem, dass die Kinder mit kreativen Aufgaben überfordert sind. Deshalb versuchen wir, sie zu unterstützen, zum Beispiel, wenn sie eine Geschichte erfinden sollen. Ich habe dafür zehn Plastikmäppchen, die können sie selbst auswählen. Da hat es zum Beispiel eine Satzanfangsblume drin: Diese Satzanfänge dürfen sie benutzen, wenn sie keine eigene Idee haben. Dann gibt es Kärtchen mit Bildern: ‹der Zebrastreifen›, ‹der Stern›, ‹das Papier›. Was könnte das für eine Geschichte geben aus diesen drei Wörtern? Es hat ein Kärtchen mit dem Auftrag, Schritt für Schritt: Schreib das Datum auf, überlege dir eine spannende Geschichte mit den drei Worten, schreib die Geschichte auf, wähle für jeden Satz einen passenden Satzanfang, überprüfe deinen Text mit der ‹Korrigierhand›. Die ‹Korrigierhand› hilft beim Überarbeiten: Auf dem Daumen steht ‹Satzanfang grossschreiben›, dann ‹zwischen jedem Wort einen Abstand machen›, ‹alle Nomen werden gross geschrieben›, ‹alle anderen Wörter schreiben wir klein›. Und der kleine Finger heisst: ‹Am Schluss einen Punkt, ein Ausrufe- oder Fragezeichen›.

 Kinder, die schon recht weit sind, können mit diesen Hilfen zu zweit oder auch allein selbstständig arbeiten. Manche Kinder brauchen sie auch nicht. Mit Kindern, die grosse Mühe haben, muss man zusammensitzen und das mündlich erarbeiten. Wir machen das über zwanzig Mal und bauen es konsequent ein. Die Kinder haben Freude an den Materialien: Und sie begreifen, dass es ihnen hilft und sie keine Angst haben müssen, dass nichts dabei rauskommt.»

EINE WÖRTERSAMMLUNG FÜR MATHEMATIK

Sabrina Vugrinec, Primarschule St. Johann, 2. Zyklus

 «Am St. Johann arbeiten wir sehr vernetzt zusammen, unterrichten häufig im Teamteaching. Wir haben festgestellt, dass wir vor allem im Matheunterricht unterschiedliche Begriffe nutzen. Zwar meinen wir dasselbe, benutzen aber unterschiedliche Wörter. Das haben wir mit den Klassen aufgegriffen und zum Thema gemacht. Wir versuchen uns nun einerseits sprachlich anzugleichen, um zu gewährleisten, dass der Inhalt auch verstanden wird, aber erwähnen auch, welche anderen Wörter und Formulierungen es gibt. Es geht nicht darum, die Sprache zu vereinfachen, sondern ein Bewusstsein für diese Unterschiede zu wecken. Darauf aufbauend, haben wir uns zum Ziel gesetzt, mit den Kindern einen Wortspeicher, eine Wörtersammlung zu erstellen.

Bevor wir in ein Thema starten, überlegen wir uns, welche Fachausdrücke und Formulierungen wichtig sind. Dann lassen wir die Kinder Dinge mit ihren eigenen Worten beschreiben, um ihre Alltagssprache miteinzubeziehen, und führen anschliessend die Fachbegriffe ein. Häufig sind dann auch Bilder dabei, das macht es einfacher. Wir geben auch Satzbausteine vor, wie und in welchem Zusammenhang diese Fachwörter benutzt werden können. Das kann auf einem Plakat sein, an der Tafel oder im Heft der Kinder.

Am Ende geht es auch darum, dass die Kinder die Fachsprache nutzen lernen. Das heisst, es braucht Aufgabenstellungen, bei denen die Kinder über Mathematik sprechen können. Und indem sie diese immer wieder nutzen, können sie sie langfristig verankern. Ich glaube, der Wortspeicher ist etwas, das sich vor allem langfristig auszahlen wird. Sie werden diese Begriffe mitnehmen, die Themen wiederholen sich. Darauf können sie aufbauen. Die Auswirkungen der sprachlichen Unterstützung sind aber auf jeden Fall schon jetzt spürbar.»

Texte erschliessen, bevor man sie liest

Tobias Doll, Sekundarschule Wasgenring

 «Wir hatten am Dreitageblock eine Weiterbildung mit Tim Sommer von der FHNW. Da ging es um das Modellierte Lesen. Der Fokus liegt auf der Analyse einer Buchseite, bevor man ins Lesen geht. In meiner Klasse sind wir folgendermassen vorgegangen: Bei einer Seite im Geschichtslehrmittel Durchblick haben wir zuerst das Bild angeschaut, dann die Karte. Wir haben Jahreszahlen umkreist, um die Inhalte zeitlich einordnen zu können. Dann haben wir den Text angeschaut – aber noch nicht gelesen: Er hat verschiedene Abschnitte, Zwischentitel. Was bedeuten diese Titel? Wie können wir sie in Verbindung bringen mit dem Bild, der Karte? So haben wir schon einiges an Vorwissen zusammengetragen, ohne dass wir den Text gelesen haben. Ich habe das den Schülerinnen und Schülern am Visualizer demonstriert, bevor sie auf einer anderen Buchseite das Gesehene selber umgesetzt haben.

Wir haben simpel angefangen, zuerst haben wir nur Bild und Karte angeschaut. Oder nur die Titel. Danach haben wir nach und nach den Text gelesen und dann besprochen. Es ist aufwendig, das Ziel ist, dass sie das selbst machen. In dieser Intensität geschieht das wahrscheinlich nicht, aber es geht auch darum, das Bewusstsein zu schärfen. Sie sollen lernen, dass ein Text mehr ist als nur das Geschriebene. Das Verständnis des Inhalts war viel besser, als wenn sie es einfach so nur gelesen hätten. Ich setze dieselbe Strategie auch in Mathe ein, wenn wir im Buch arbeiten: Da hat es eine Skizze, eine Aufgabe, eine Erklärung … Die Inhalte sind natürlich unterschiedlich, aber die Strategien sind dieselben. Am Anfang muss man sich dieses ‹Schau mal genau, was siehst du, was hast du für Vorwissen dazu› etwas angewöhnen.»

Text: Stephanie Lori Fotos: Eileen Meyer

 

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