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Die Antworten auf Ihre Fragen

20.12.2023
Im Oktober 2023 legte der Regierungsrat des Kantons Basel-Stadt dem Grossen Rat ein umfassendes Massnahmenpaket zur Verbesserung der integrativen Schule vor. Es soll Schülerinnen und Schüler mithilfe von Lerninseln, Fördergruppen und weiteren Förderangeboten gezielter unterstützen und der Arbeitsbelastung an den Schulen entgegenwirken.
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Ziel ist, mit den ersten Massnahmen im Schuljahr 2024/2025 zu starten. Fotos: Grischa Schwank

Die Schulblatt-Redaktion fragte bei Lehr- und Fachpersonen im Kanton nach, welche Fragen sie beschäftigen, wenn sie an die integrative Schule und das vorgestellte Massnahmenpaket denken. Die gesammelten Fragen und die Antworten des Bereichs Volksschulen lesen Sie hier:

Gibt es jetzt wieder mehr Separation?

Weiterhin gilt an Basler Schulen der Grundsatz: Integration vor Separation. Klar ist aber auch: Die integrative Schule stösst an Grenzen. Es gibt heute zum Beispiel mehr Kinder mit Verhaltensauffälligkeiten als früher. Denken wir dabei nur an den Anstieg der Anzahl Schülerinnen und Schüler mit einer Autismus-Spektrums-Störung. Um mit diesen neuen Realitäten adäquat umgehen zu können, braucht es bei der Ausgestaltung der integrativen Schule Anpassungen. Auch der Bedarf an Förderangeboten in Logopädie oder Psychomotorik ist in den vergangenen Jahren stark angestiegen. Damit Integration in der Schule gelingen kann, braucht es in manchen Fällen tatsächlich eine Teilseparation oder eine Separation. Das Massnahmenpaket schlägt beispielsweise vor, Fördergruppen einzuführen. Das ist ein teilseparatives Angebot.

Was sind Fördergruppen?

Fördergruppen richten sich an Primarschülerinnen und Primarschüler, die Schwierigkeiten beim Lernen haben. Ein Teil des Unterrichts (10 bis 12 Lektionen) findet in der Fördergruppe statt. Für den übrigen Unterricht bleiben sie in ihrer Klasse. In einer Fördergruppe sind maximal zwölf Kinder. Fördergruppen richten sich nicht an primär verhaltensauffällige Schülerinnen und Schüler. Für sie sind die Lerninseln gedacht. Da Schülerinnen und Schüler aufgrund einer Lernstörung jedoch teilweise auch sekundäre Verhaltensauffälligkeiten entwickeln, lässt sich die Zielgruppe nicht ganz trennscharf definieren. Es kann durchaus vorkommen, dass gerade zu Beginn der Beschulung in einer Fördergruppe auch Verhaltensauffälligkeiten vorkommen.

Weshalb werden Kinder mit Verhaltensauffälligkeiten von den Fördergruppen ausgeschlossen? Diese stören die Regelklassen ja am meisten.

Für Kinder mit schwereren Formen von Verhaltensauffälligkeiten besteht mit dem Spezialangebot bereits ein passendes schulisches Angebot. Diese Kinder würden den Rahmen einer Fördergruppe «sprengen». Zudem wird mit den Lerninseln ein neues Angebot vorgeschlagen, dass zeitnah und niederschwellig in akuten Situationen für Entlastung sorgen kann. Die Forschung zeigt eindeutig, dass verhaltensauffällige Kinder im integrativen Setting aufgrund der positiven Verhaltensvorbilder viel mehr profitieren als in einem separativen Rahmen. Aus diesem Grund sollen in Basel auch zukünftig Kinder mit weniger schweren Formen von Verhaltensauffälligkeiten nach Möglichkeit integrativ beschult werden.

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Wieso beinhaltet das Massnahmenpaket keine Fördergruppen an der Sekundarschule?

Die Rückmeldungen aus der Konsultation zeigen: Es muss zunächst die Situation beim A-Zug genauer und umfassender angeschaut werden. Konkret soll analysiert werden, wie Schülerinnen und Schüler des A-Zugs besser gefördert werden können, damit für sie passende Anschlusslösungen gefunden werden. Im neuen Jahr soll sich eine breit abgestützte Arbeitsgruppe dieser Frage annehmen und entsprechende Massnahmen vorschlagen.

Wo sollen Lerninseln geschaffen werden, mehr Logopädie und Psychomotorik stattfinden, wenn bereits für das aktuelle Angebot zu wenig oder kein Raum zur Verfügung steht?

Wir gehen davon aus, dass die meisten Schulen eine Lerninsel in ihren bestehenden Räumlichkeiten einrichten können, auch wenn dies eine anspruchsvolle Aufgabe ist. Andere Massnahmen brauchen deutlich mehr Platz. Das Schaffen von zusätzlichem Schulraum im dicht besiedelten Kanton Basel-Stadt ist und bleibt eine prioritäre Aufgabe.

Wie gelangt ein Kind, das zusätzliche Förderung braucht, schneller zu Unterstützung? Gibt es mehr Entscheidungskompetenzen bei den Schulleitungen?

Schulleitungen sollen die ihnen zugeteilten Förderressourcen flexibler und in mehr Eigenverantwortung verwenden können. Sie entscheiden, was für ihren Standort richtig ist. Sie wählen je nach Situation die benötigten Fachpersonen aus, zum Beispiel für Logopädie, Psychomotorik oder Heilpädagogik. Wie bisher sollen an jeder Primarstufe Fachpersonen für Schulische Heilpädagogik, Logopädie und Psychomotorik beschäftigt sein.

Wie viele Kinder pro Klasse dürften eine Fördergruppe besuchen?

Die Berechnungen des Erziehungsdepartements basieren darauf, dass ca. fünf Prozent der Schülerinnen und Schüler der Regelklassen eine Fördergruppe besuchen werden. In einer Fördergruppe sind maximal zwölf Kinder.

Wie werden die Kinder für eine Fördergruppe ausgewählt? 

Zielgruppe sind Schülerinnen und Schüler, die aufgrund ihrer Lernschwäche oder einer ausgeprägten Lernstörung ein kleines, überschaubares Setting benötigen. Drei Bedingungen müssen kumulativ erfüllt sein, bevor eine Zuweisung in eine Fördergruppe erfolgt:

  • In der Regelklasse steht das Kind unter einem Leidensdruck.
  • Niederschwellige Massnahmen sind ausgeschöpft (schulische Heilpädagogik, individuelle Lernziele, allenfalls Logopädie oder Psychomotorik).
  • Die Ausschlusskriterien sind geklärt:
    • Ein Ausschlusskriterium ist ein ausgewiesener sonderpädagogischer Bedarf – wenn also eine Schülerin oder ein Schüler verstärkte Massnahmen (Kaskade 3) benötigt.
    • Ein weiteres Ausschlusskriterium sind Verhaltensauffälligkeiten, deren Ursachen primär im sozialen Bereich liegen. Hierfür sind die bestehenden Angebote vorgesehen wie die Schulsozialarbeit oder das neue Angebot der Lerninseln (Kaskade 2).
  • Die Zuweisung in die Fördergruppe erfolgt durch die Schulleitung aufgrund einer Empfehlung des pädagogischen Teams.
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Was passiert mit den Kindern, die nicht in die Fördergruppe dürfen, aber trotzdem nicht oder kaum am Jahrgangsstoff mitarbeiten können?

Für diese Kinder stehen weitere, bisherige Angebote respektive Massnahmen zur Verfügung (z. B. Begleitung durch schulische Heilpädagoginnen resp. -pädagogen im Klassenverband, individuelle Lernziele). Sind die bestehenden Förderangebote ausgeschöpft, können nach wie vor verstärkte Massnahmen beantragt werden.

Wie genau sollen die Fördergruppen die Klassen entlasten? Was wird leichter, wenn ein paar Kinder für einzelne Stunden weg sind? 

Die «Streuung» innerhalb der Klasse wird reduziert. Die Lehr- und Fachpersonen können sich auf die Förderung der anderen Schülerinnen und Schüler konzentrieren. Sie haben mehr Ressourcen für das einzelne Kind zur Verfügung, da es schlicht weniger Kinder sind.

Warum wird im Kindergarten Doppelbesetzung als Entlastung des Systems eingesetzt, aber nicht auf den Klassenstufen 1-6?

Es ist richtig, dass in besonders belasteten Kindergärten am Vormittag fast immer zwei Lehrpersonen gemeinsam unterrichten sollen. Für die Klassenstufen 1-6 sind neben anderen Massnahmen Fördergruppen und Lerninseln vorgesehen. Die Forschung zeigt: Je früher die Förderung ansetzt, desto erfolgreicher ist sie. Deshalb ist es zentral, dass neben dem Ausbau der Fördermassnahmen im Kindergarten auch der Frühbereich, namentlich das Zentrum für Frühförderung (ZFF), ausgebaut wird.

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Wurde eine Doppelbesetzung der Klassen in den Fächern Mathe, Deutsch, NMG, Französisch und Englisch durchgerechnet?

Nein, der Fokus lag auf den anderen Massnahmen. Jedoch können die Schulleitungen der Primarstufe in der Primarschule schon heute zusätzliche Lektionen aus dem Förderangebot für Teamteaching einsetzen, um zum Beispiel einen Unterrichtstag doppelt zu besetzen.

Wie begegnet man dem Umstand, dass viele Lehrpersonen wegen des ständigen Rein- und Rausgehens der Kinder in Gruppen und Förderangebote kaum noch den Unterricht planen können?

Im neuen System sollen Schulleitungen flexibler und eigenständiger entscheiden können, welche Förderressourcen sie wie einsetzen wollen. Schulleitungen sollen die Professionen, die sie brauchen, je nach Bedarf einsetzen können, also Logopädie, Psychomotorik, Heilpädagogik. Das soll die Abläufe einfacher gestalten und Ruhe in die Klassenzimmer bringen. Möglichst wenig Fachpersonen sollen gemeinsam mit einer Klasse arbeiten.

Einigen Kindern fällt es schwer, zu vielen verschiedenen Lehrpersonen eine Beziehung aufzubauen, und sie verhalten sich entsprechend auffällig. Wurde dies bei den vorgeschlagenen Fördergruppen berücksichtigt?

Es ist klar, dass jeweils sorgfältig und allenfalls auch unter Beizug des SPD oder anderer Fachstellen entschieden werden muss, ob sich für ein bestimmtes Kind die Fördergruppe eignet oder eine andere Fördermassnahme passender ist.  Die geplante Flexibilisierung der Kaskade 2 hat zudem zur Folge, dass zukünftig Fördermodelle mit weniger Fachpersonen in einer Klasse realisiert werden können.

Es fehlen schon jetzt Fachkräfte für Logopädie und Psychomotorik. Ohne die Fachpersonen können die zusätzlichen Ressourcen des Massnahmenpakets nicht an die Kinder gelangen. Was wird getan, dass die gesprochenen Gelder bei den Kindern angekommen?

Es werden verschiedene Massnahmen umgesetzt, um den Mangel an Fachpersonen in den Bereichen Logopädie und Psychomotorik sowie Heilpädagogik zu mildern, etwa indem die PH FHNW den Studiengang Logopädie ab diesem Schuljahr jährlich (und nicht mehr nur alle zwei Jahre) anbietet. Zudem übernimmt die Volksschulleitung vollumfänglich die Kosten für den Masterstudiengang Schulische Heilpädagogik.

Damit diese Massnahmen gelingen, braucht es Raum und Geld. Wie gut arbeiten Erziehungsdepartement, Bau- und Verkehrsdepartement und Finanzdepartement zusammen?

Bei Schulbauprojekten kommt das im Kanton Basel-Stadt etablierte 3-Rollen-Modell (Finanzdepartement, Bau- und Verkehrsdepartement und Erziehungsdepartement) zum Einsatz. Die Prozesse haben sich gerade bei Schulbauten bewährt und werden laufend optimiert. Dabei werden geltende Kriterien, wie die flexible Nutzung des Raums, die geltenden Schulraumstandards oder die Massgabe, dass kein Bauen auf Vorrat erfolgt, berücksichtigt.

Redaktion: Tamara Funck

Das Massnahmenpaket in Kürze

Die Massnahmen zur Verbesserung der integrativen Schule sind mit jährlich wiederkehrenden Mehrkosten von CHF 13.7 Mio. verbunden und sind im Wesentlichen:

 

  • Kleine Fördergruppen für Schülerinnen und Schüler der Primarschule, die Schwierigkeiten beim Lernen haben
  • Lerninseln für Schülerinnen und Schüler der Primar- und der Sekundarschule mit akut schwierigem Verhalten
  • Zwei Lehrpersonen im Unterricht in besonders belasteten Kindergärten
  • Mehr Ressourcen für Logopädie und Psychomotorik
  • Mehr Ressourcen ans Zentrum für Frühförderung (ZFF)
  • Mehr Flexibilität für die Schulleitungen beim Einsatz von Förderressourcen
  • Förderangebot für Schülerinnen und Schüler mit besonders hohem Förderbedarf («SpA Plus»)
  • Eine Erweiterung des Weiterbildungsangebots für Lehr- und Fachpersonen.

 

Ziel ist, mit den ersten Massnahmen im Schuljahr 2024/2025 zu starten. Einführung und Umsetzung des Massnahmenpakets hängen jedoch vom weiteren politischen Prozess ab.

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