«Eine logische Fortsetzung des Unterrichts»
Im Frühjahr 2024 wird ein Teil der Schülerinnen und Schüler an Basler Gymnasien und an der Fachmaturitätsschule (FMS) zum ersten Mal schriftliche Abschluss- und Maturprüfungen auf digitalem Weg absolvieren. Das Pilotprojekt wird von der PH FHNW wissenschaftlich begleitet und evaluiert. Die flächendeckende Umsetzung erfolgt dann in den Jahren 2025 bis 2027. Was ändert sich? Antworten auf die häufigsten Fragen.
Weshalb sollen Matur- und Abschlussprüfungen in digitaler Form stattfinden?
Der digitale Wandel in unserer Gesellschaft bringt Veränderungen mit sich. Diese durchdringen die Gesellschaft, die Arbeitswelt und damit auch die Schulen. Der Einsatz von digitalen Geräten im Unterricht ist an den Gymnasien und der FMS in Basel-Stadt seit längerer Zeit Normalität. Unterricht, Lernprozess und Prüfen bilden eine Einheit. An einer Prüfung stellen die Schülerinnen und Schüler ihre Kompetenzen und ihr Wissen unter Beweis. Da der Lernprozess unter digitalen Bedingungen abläuft, muss in der Folge auch die Art und Weise, wie geprüft wird, angepasst werden.
Inwiefern bereitet eine digitale Abschlussprüfung eine Maturandin oder einen Abgänger der FMS besser auf die Zukunft an einer Universität oder einer Fachhochschule vor als eine traditionelle schriftliche Abschlussprüfung?
Schülerinnen und Schüler sollen an der Schule die Kompetenzen aufbauen, die für ihren weiteren Bildungsweg und ihr Berufsleben relevant sind. Für Lernende im 21. Jahrhundert sind Kommunikation, Kollaboration, Kreativität und kritisches Denken von zentraler Bedeutung. Diese Fähigkeiten werden im Unterricht erlernt. Digitale Unterrichtsmittel und Geräte leisten hierbei wertvolle Dienste. Da im Unterricht und damit auch in unterjährigen Prüfungen digitale Hilfsmittel genutzt werden, wäre es mit Nachteilen für die Lernenden verbunden, in der Abschluss- oder Maturprüfung darauf zu verzichten und auf analoge Praktiken umstellen zu müssen. Ein gutes Beispiel dafür sind Textarbeiten: Der Schreibprozess ist unter analogen und unter digitalen Bedingungen ein anderer. Die digitale Abschlussprüfung ist eine faire und sinnvolle Weiterführung der im Unterricht geförderten Kompetenzen und Fähigkeiten.
Im geplanten Pilotprojekt sollen vier unterschiedliche Prüfungsformate zwischen analog und digital angewendet werden. Laufen in den kommenden Jahren unterschiedliche Prüfungsformate parallel?
Ja. Während der Umsetzungs- und Etablierungsphase zwischen 2025 und 2027 soll erkundet werden, welche Unterrichts- und Prüfungsformate sich in einer Kultur der Digitalität bewähren. Die Lehrpersonen, in deren Kompetenz die Unterrichtsentwicklung fällt, sammeln in dieser Zeit über alle Mittelschulen hinweg Erfahrungen und finden so zu einem pro Fach tauglichen neuen Format für die Abschlussprüfung. Der Prozess wird durch die FHNW wissenschaftlich begleitet und evaluiert. Mit dem Pilotprojekt 2024 soll getestet werden, welche Formate sowohl die didaktischen Ziele gut abdecken als auch organisatorisch in der Breite leistbar sind.
Weshalb testet man das bei einer realen Maturprüfung? Kann man nicht in Probeläufen herausfinden, welches Format am besten passt?
So wie der Unterricht die Prüfung determiniert, beeinflusst die Prüfung auch den Unterricht. Sparen wir die Matur- und Abschlussprüfungen von der Digitalisierung aus, müssen sich die Schülerinnen und Schüler spätestens im letzten Jahr vor der Matur Praktiken aneignen, die sie nur für die analoge Prüfung benötigen. Das bremst die Unterrichtsentwicklung und raubt wertvolle Lern- und Unterrichtszeit, die nicht inhaltlich genutzt werden kann. Zudem erfolgt die Einübung der Prüfungen bereits in den Jahren vor der Abschluss- oder Maturprüfung.
Wenden alle Gymnasien sowie die FMS in Basel dieselben digitalen Prüfungstools an?
Nein. Je nach Setting werden unterschiedliche Tools zugelassen. Ab dem Schuljahr 2028 sollen wieder konsolidierte Abschlussprüfungen an allen Standorten durchgeführt werden, wobei es auch heute schon Unterschiede hinsichtlich der Formate gibt. Wesentlich für die Fairness ist die Vergleichbarkeit des Anforderungsniveaus und der geforderten Kompetenzen.
Wie ist denn Vergleichbarkeit möglich, wenn es Unterschiede bei den Prüfungsformaten und damit auch bei Prüfungstools gibt?
Es gibt eine Ressortgruppe, in der Fachvertreterinnen und Fachvertreter aus allen Schulen die Prüfungen vergleichen und Anforderungsniveau und Kompetenzen diskutieren. Sie stellt die Vergleichbarkeit sicher.
Ist das nicht unfair, unterschiedliche Prüfungsformate parallel anzuwenden?
Nein, denn das Anforderungsniveau und die geprüften Kompetenzen sind für alle vergleichbar. Zudem ist das Pilotprojekt tief im tatsächlich praktizierten Unterricht verwurzelt. Die Schülerinnen und Schüler werden so getestet, wie sie es aus dem bisherigen Unterricht bei ihren Lehrpersonen gewohnt sind. Das Pilotprojekt erlaubt es, wertvolle Erfahrungen mit digital bereits versierten Klassen und Lehrpersonen zu sammeln. Die übrigen Klassen und Lehrpersonen erhalten so mehr Zeit und profitieren von praktischen Erfahrungen sowie der wissenschaftlichen Evaluation des Pilotjahrgangs.
Wie sieht die Vorbereitung auf digitale Prüfungen aus?
Der Einsatz von digitalen Geräten im Unterricht ist bereits seit vielen Jahren Realität. Seit der Einführung von BYOD (Bring Your Own Device) – das heisst der Nutzung privater Geräte im Rahmen des Unterrichts – an allen Mittelschulen vor vier Jahren sind digitale Geräte im Unterricht etabliert. Alle Klassen, die am Pilot teilnehmen, haben die neuen Formate im Unterricht über längere Zeit eingeübt. Es haben sich für das Pilotjahr diejenigen Fachlehrpersonen gemeldet, die mit ihren Klassen schon so weit sind, dass ein neues Maturprüfungsformat die logische Fortsetzung ihrer bisherigen pädagogischen und didaktischen Arbeit darstellt.
An den Gymnasien und der FMS gilt also BYOD. Wie wird da eine Chancengerechtigkeit zwischen den unterschiedlichen Gerätetypen sichergestellt?
Durch die formulierten Mindestanforderungen an die BYOD-Geräte sowie durch den regelmässigen Einsatz im Unterricht ist sichergestellt, dass die benötigten Programme auf den Geräten der Schülerinnen und Schüler laufen. Die eingesetzten Programme verlangen keine Rechenleistung oder Speicherkapazität, die die Mindestanforderungen übersteigen.
Was passiert, wenn mitten in der Prüfung die Technik streikt (Computer stürzt ab, WLAN fällt aus etc.)?
Unabhängig vom Prüfungsformat stellt die Prüfungsleitung für alle Prüfungen nach bester Möglichkeit sicher, dass alle technischen Risiken abgesichert sind und die Prüfungen störungsfrei stattfinden können. Eine Risikoanalyse liegt vor. Es werden Fachstellen (IT, technischer Dienst) beigezogen und präventive Massnahmen ergriffen (Aufrüstung WLAN, Stromversorgung, Ersatzgeräte-Pool, IT-Support an Prüfungstagen usw.). Alle Prüfungsunterlagen werden sicherheitshalber auch analog bereitgehalten und Alternativen zur Einreichung bei WLAN-Ausfall werden bereitgestellt.
Digitale Arbeitsmittel ermöglichen Betrug. Wie wird die Sicherheit der Prüfungen gewährleistet?
Vorweg ist zu sagen, dass auch Prüfungen mit Stift und Papier nicht vor Betrug gefeit sind. Wir passen die Vorgaben dem jeweiligen Prüfungsformat an. Je nach Format wird eine sichere Prüfungsplattform, welche die Nutzung unerlaubter Hilfsmittel während der Prüfung unterbindet, genutzt oder mittels einer Redlichkeitserklärung mit den Schülerinnen und Schüler vereinbart, welche Hilfsmittel sie nutzen dürfen und welche Konsequenzen ein Betrug hat. Dies analog zu vielen Prüfungen unter dem Jahr oder der Maturaarbeit, welche die Schülerinnen und Schülern auch in einem gänzlich offenen Setting verfassen. Zentral jedoch ist bei den Matur- und Abschlussprüfungen die Aufsicht durch geschulte und mit Betrugsmöglichkeiten vertraute Lehrpersonen. Dies sowohl im analogen als auch im digitalen Setting.
Die Maturitätsprüfung ist in den Grundzügen schweizweit geregelt. Darf Basel-Stadt überhaupt selber beschliessen, neue Prüfungsformen wie die digitale Maturitätsprüfung einzuführen?
Die Maturitätsprüfungen sind durch das eidgenössische Maturitätsanerkennungsreglement (MAR), die Maturitätsprüfungsverordnung Basel-Stadt (MPV) und die kantonalen fachlichen Rahmenvorgaben für die schriftlichen Maturitätsprüfungen geregelt. Die Form der Prüfungen (analog oder digital) ist in diesen Grundlagendokumenten nicht festgeschrieben.
Ist Basel-Stadt der einzige Kanton, der digital prüft, oder machen das bereits andere Kantone?
In unseren Nachbarkantonen Baselland und Aargau haben Mittelschulen bereits Erfahrungen mit Maturprüfungen im digitalen Bereich gesammelt. Diese Erfahrungen sind in die Entwicklung des Pilotprojekts eingeflossen.
Die digitalen Abschluss- und Maturprüfungen werden nicht auf einen Schlag, sondern schrittweise ab 2024 eingeführt. Das bedeutet, einzelne Schülerinnen und Schüler gehören zu den ersten, die damit Erfahrungen sammeln sollen. Sind das nicht einfach Versuchskaninchen?
Da die neuen Prüfungsformen die logische Fortsetzung des Unterrichts bedeuten und mehrfach im Unterricht erprobt und geübt wurden, stimmt der Ausdruck «Versuchskaninchen» nicht. Man kann aber von «Pionierinnen und Pionieren» sprechen. Das Pilotprojekt nimmt eine neue gesellschaftliche Realität auf.
Wo bleibt der Wert des Analogen innerhalb dieses ganzen Digitalisierungsdiskurses?
Es geht im Unterricht darum, den Umgang mit digitalen Geräten zu üben und zu reflektieren. Um diese Medienkompetenz zu entwickeln, muss man die Geräte und ihre Möglichkeiten, aber auch ihre Grenzen kennen. Selbstverständlich wird im Unterricht eine sinnvolle Balance zwischen analogen wie digitalen Sequenzen gesucht. Klassengespräch, Gruppenarbeit und Partnerarbeit sind wichtige analoge Unterrichtsmethoden, die auch weiterhin bestehen bleiben.
Text: Charlotte Staehelin, Bild: Grischa Schwank