Mit dem Blick der Architekturpsychologin
Am Garderobenständer baumelt ein blauer Baustellenhelm, an den Wänden prangen grosse Baupläne und Kartenausschnitte: Wer das Büro von Andrea Grasser betritt, muss nicht lange rätseln, wer hier arbeitet. Die ausgebildete Innenarchitektin hat Ende letzten Jahr die Leitung des Bereichs Raum und Anlagen im Erziehungsdepartement übernommen.
Davor hatte sie über zehn Jahre lang als Dozentin im Departement Architektur, Holz und Bau der Berner Fachhochschule und an der Höheren Fachschule Biel gearbeitet. «Ich habe selber unterrichtet, stand also selber vor Studierenden», sagt Grasser. Nicht vor Primar- oder Sekundarschülerinnen und -schülern, klar. Aber vom Grundsatz her seien die Anforderungen an die Architektur im Bildungsbereich über alle Stufen hinweg ähnlich: «Ich kenne die Fragestellungen, die an mich als Verantwortliche für Schulraumplanung herangetragen werden, aus eigener Erfahrung als Dozentin.»
Von Thuja-Hecken und Bäumen vor dem Fenster
Seit längerer Zeit beschäftigt sich Andrea Grasser intensiv mit Architekturpsychologie, einer vergleichsweise jüngeren Fachrichtung, die sich in den letzten 50 Jahren entwickelt hat. «Architekturpsychologie beschäftigt sich mit dem, was der Raum mit uns macht: mit der Wirkung von Gebäuden und der Aussenraumgestaltung auf uns Menschen», erklärt sie. «Zum Beispiel: Was bedeutet es, wenn die Bewohner eines Einfamilienhausquartiers nach und nach beginnen, Thuja-Hecken hochzuziehen?»
Selbstverständlich spielen Fragen der Architekturpsychologie auch in Schulräumen eine wichtige Rolle. «Es gibt einige Studien zum Einfluss des Schulraums auf Kinder und Lehrpersonen», so Grasser. «Man weiss zum Beispiel mittlerweile: Kinder, die von ihrem Schulzimmer aus ins Grüne blicken, haben einen ruhigeren Puls und können sich besser konzentrieren. Dasselbe gilt für Kinder, die in Räumen aus Holz unterrichtet werden.»
Nun kann man in einer dicht bebauten Stadt wie Basel nicht einfach Wälder um Schulhäuser wachsen lassen. Andrea Grasser ist sich bewusst, dass sie viele Idealvorstellungen nicht direkt verwirklichen kann. «Manches lässt sich nicht umsetzen, und alles ist immer Kompromiss, das bin ich mir als Architektin gewöhnt. Aber schon einzelne Bäume draussen vor dem Schulhaus können einen positiven Einfluss haben – oder eine sorgfältig bestimmte Farbgebung im Inneren.»
Genau diese Vermittlerrolle fasziniere sie an ihrer Aufgabe als Leiterin der Abteilung Raum und Anlagen: «Wir übersetzen pädagogische Konzepte, die Ansprüche und Nutzerbedürfnisse von Lehrpersonen, Schülerinnen und Schülern in Architektur und vermitteln das gegenüber dem Bauherrn, also der Verwaltung.» Als eine ihrer Kernaufgaben betrachtet sie denn auch die Arbeit mit den Nutzerausschüssen, also den Gremien von Nutzerinnen und Nutzern der Schulbauten.
Neu bauen, ausbauen, aufstocken
Dabei wird die Abteilungsleiterin gefordert sein: Der Bedarf nach neuem Schulraum ist gross, und er wird in den nächsten Jahren noch einmal steigen – bevor sich die Anzahl Schülerinnen und Schüler dann auf hohem Niveau voraussichtlich stabilisieren wird. Momentan gilt noch: «Unsere Statistiken zeigen ein starkes Wachstum bei den Schülerinnen- und Schülerzahlen», sagt Grasser.
Dazu tragen auch die Arealentwicklungsgebiete in der Stadt bei, im Klybeck etwa, ganz aktuell im Lysbüchel, auf dem Westfeld oder am Walkeweg beim Dreispitz. «Diese Entwicklung antizipieren wir in unseren Bedarfsrechnungen», so Grasser. Die letzte grosse Schulraumoffensive der 2010er-Jahre – mit einem Investitionsvolumen von 790 Millionen Franken – ist praktisch abgeschlossen. Nun steht für Grasser fest: «Wir bauen in den nächsten zehn Jahren im ähnlichen Stil weiter. Ein weiterer Treiber sind die Veränderungen bei den pädagogischen Konzepten. Sie brauchen mehr Raum für die gleiche Anzahl Kinder.»
So sind in den Entwicklungsgebieten am Walkeweg oder auch im Klybeck neue Primarschulbauten in Planung. «Wir werden auch bis zu drei weitere Sekundarschulhäuser bauen», verrät die Architektin. Dazu werden bestehende Schulhäuser ausgebaut oder aufgestockt – bald schon etwa die Primarschule Lysbüchel, die rund vier Jahre nach ihrer Eröffnung bereits an Kapazitätsgrenzen stösst. Andrea Grasser ist es in diesem Zusammenhang wichtig, zu betonen, dass der Schulbau im Kanton Basel-Stadt im Drei-Rollen-Modell zwischen Erziehungsdepartement, Finanzdepartement sowie Bau- und Verkehrsdepartement in enger Zusammenarbeit geplant und gebaut wird.
Klimaanpassung in Schulbauten
Ein besonderes Augenmerk will Andrea Grasser bei allen Neu- und Umbauten dem Wärmeschutz schenken. Mit dem Klimawandel werden Hitzeperioden häufiger und länger. Neue Schulgebäude sollen deshalb konsequent so konstruiert sein, dass sie gute Voraussetzungen für ein angenehmes Raumklima bieten, etwa mit einem System der Nachtauskühlung. Dabei gilt eine Vorgabe des Kantons: Gebäude müssen so gestaltet sein, dass sie ohne zusätzliche technische Kühlanlagen auskommen.
Auch in den bestehenden Schulhäusern soll das Raumklima an Hitzetagen erträglicher werden: «Wir werden eine Strategie für die nächsten Jahre erarbeiten, die aufzeigen soll, wie wir die Schulhäuser besser kühlen können», sagt Grasser und warnt zugleich vor zu grossen Erwartungen: «Bauliche Massnahmen sind kurzfristig nicht möglich, aber die Nutzenden können mit ihrem Verhalten selber einen Beitrag leisten. Bis zum nächsten Sommer stehen diese Verhaltensanweisungen in allen Schulhäusern zur Verfügung.»*
Längerfristig müsse sich aber auch die Gesellschaft an die neuen klimatischen Verhältnisse anpassen. «Wir müssen uns da quasi neu einstellen», sagt die Architekturpsychologin. «Zum Beispiel werden wir künftig andere Anforderungen an den Tagesablauf oder an unsere Effizienz an heissen Sommertagen stellen müssen. Spanien oder Italien machen das schon lange vor.»
An einem anderen südlichen Land orientiert sich Andrea Grasser in ihrer Freizeit, wenn sie Tango Argentino tanzt. Daneben kocht sie leidenschaftlich – und sie geht gerne wandern in die Natur, in Berge und Wälder. Die Architekturpsychologin weiss schliesslich: Der Blick ins Grüne senkt den Puls und stärkt die Konzentrationsfähigkeit.
*Mehr zum Thema Hitze und Schulraumklima in der nächsten Schulblattausgabe.
Von Gaudenz Wacker
Abteilung Raum und Anlagen Die Abteilung Raum und Anlagen mit rund 25 Mitarbeitenden ist das Kompetenzzentrum des Erziehungsdepartements für sämtliche Planungen bezüglich Schulraum, Tagesstrukturen, Mobiliar, Kleininvestitionen und Sicherheit. Weitere rund 250 Mitarbeitende sind zuständig für den Betrieb der baulichen Infrastruktur von Schulen und Kindergärten samt Schulhauswartung und Reinigung. |