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Schule auf dem Bauernhof

19.09.2024
Raus aus dem Klassenzimmer, rein in die Natur: In der Tagesschule Ackermätteli lernen Kinder auf dem Bauernhof spielerisch und ohne Druck. Sie pflügen, ernten und entdecken die Welt auf ihre Weise. Ein Projekt, das Freiheit und Abenteuer verbindet.
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Stoffaffe Jim ist immer dabei und wird durch den Wald getragen. Fotos: Tamara Funck

Kurz nach acht Uhr morgens. Klassenlehrer Stephan Schmidt leitet eine Gruppe von Primarschulkindern durch die Strassen von Kleinbasel, den Wanderstock fest in der Hand. Wenige Minuten später sitzen sie im Tram, begleitet von einem Sozialpädagogen und einer Sozialpädagogin. Ihr Ziel: der Bauernhof Untere Tüfleten im Tiefental bei Dornach.

«Schritt für Schritt», sagt Stephan Schmidt. «Für die Kinder ist das alles neu.» Mit Ausnahme eines Jungen haben sie den Bauernhof noch nie gesehen. Zweimal im Monat dürfen sie dieses Erlebnis nun teilen. Vor zehn Jahren begann Schulleiter Thomas Maywald das Projekt – zunächst mit einer Klasse. Heute besucht die gesamte Tagesschule Ackermätteli regelmässig den Hof.

Nach einer Tram- und Zugfahrt startet am Bahnhof Aesch die Wanderung. Der Weg führt sanft bergauf, durch den Wald, entlang eines Bachs und an Brombeersträuchern vorbei. Für die Kinder ist es ein grosses Abenteuer. Ein Mädchen trägt das Klassenmaskottchen, einen Stoffaffen namens Jim, im Rucksack. «Jim schläft», flüstert sie, während sie über einen umgestürzten Baum klettert. Eine andere Schülerin behauptet, eine Spinne gesehen zu haben. «Wo?», fragt ein Junge. «Da hinten», sagt sie, ohne eine Richtung anzugeben. Schritt für Schritt geht es weiter – bis der Bauernhof in der Ferne auftaucht.

Lieb und respektvoll

«Ich bin der vom Bauernhof», begrüsst Wolfgang Unger die Kinder. Er organisiert und leitet Projekte für Schulklassen auf dem Hof Untere Tüfleten. Auch eine weitere Klasse der Tagesschule ist heute hier. Alle versammeln sich um ihn, während er die Regeln erklärt: keine Maschinen besteigen. Nicht auf Zäune oder Leitern klettern. Das Bauernhaus nicht betreten. Lieb und respektvoll mit den Tieren umgehen. Immer in der Gruppe bleiben.

Ein Junge hebt die Hand. «Dürfen wir nicht auf den Traktor klettern?» Wolfgang Unger schüttelt den Kopf. «Nein, der Traktor ist nicht für euch», erklärt er geduldig. «Bauer Felix braucht ihn zum Arbeiten. Er kann nicht alles wegräumen.»

Die Kinder, die den Hof schon kennen, führen die Neuen herum. Sie zeigen den Gemüsegarten, den Hühnerstall, den Outdoor-Pizzaofen und die Kuhweide. Auf dem Feld beginnen die älteren Kinder bereits mit der Arbeit.

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Nach der Ernte folgt die Pause: Die Kinder schieben den Holzwagen zurück zum Hof.

Vom Korn zum Brot

Im Team ernten die Kinder das Getreide mit Sicheln. Die Halme werden abgeschnitten und zu Garben gebunden. «Das ist unser pädagogischer Weizen», sagt Wolfgang Unger und lacht. «Normalerweise wäre er im Juli reif. Aber für die Schulklassen nehmen wir es in Kauf, dass auch mal Unkraut wächst oder Wildtiere durchs Feld laufen.»

Im Laufe des Jahres erleben die Kinder den gesamten Kreislauf der Landwirtschaft: vom Pflügen und Säen über Jäten und Ernten bis hin zum Dreschen und Backen. Für viele beginnt das Abenteuer im August mit der Ernte. «Sie lernen den Umgang mit Sichel und Gartenschere», erklärt Wolfgang Unger. «Diese Fähigkeiten bleiben ihnen.»

Der elfjährige Noah hört aufmerksam zu und berichtet dem Basler Schulblatt: «Es gefällt mir hier richtig gut. Ich bin traurig, dass es mein letztes Jahr ist.» Auf die Frage, was er gerade macht, sagt er: «Ich nehme die Körner vom Weizen ab. Später dreschen wir sie und backen unser eigenes Brot. Das selbstgemachte Brot schmeckt viel besser als das gekaufte.»

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Die Hühner haben sich längst an die Kinder gewöhnt und lassen sich streicheln.

Lernen und Autonomie

Wolfgang Unger und die Kinder ziehen weiter zum Kartoffelfeld. «Normalerweise sind die Kartoffeln noch nicht reif, aber aufgrund der Nässe ernten wir sie jetzt schon», erklärt der Sozialpädagoge und zeigt den Kindern, wie es geht. Stephan Schmidt und seine Schülerinnen und Schüler helfen tatkräftig mit. Auch Schulleiter Thomas Maywald gesellt sich dazu. «Ich habe das Projekt für die Tagesschule Ackermätteli aufgebaut und hoffe auf Kooperationen mit Regelklassen», sagt er. «Mein Ziel ist es, dass noch mehr Kinder von diesem Angebot profitieren.»

Die Sonne steht hoch am Himmel. Es ist heiss, und die Kinder sind hungrig und müde. Während die meisten mit der Ernte beschäftigt sind, bereiten ein Sozialpädagoge und zwei Schüler den Mittagstisch vor. Es ist Zeit für eine wohlverdiente Pause. Einige Jungen ziehen und schieben den mit Getreide beladenen Wagen den Hang hinauf.

«Unsere Kinder haben ein grosses Bedürfnis nach Bewegung», sagt Thomas Maywald. «Wir geben ihnen viele Freiheiten. Sie sind oft gestresst – das hier tut ihnen gut.» Viele der Schülerinnen und Schüler sind neurodivers, haben Beeinträchtigungen wie ASS (Autismus-Spektrum) oder ADHS (Aufmerksamkeitsdefizit) und zeigen gleichzeitig herausforderndes Verhalten. «Die Regelschule ist bisweilen überfordert mit der Autonomie, welche eigentlich für alle, aber insbesondere für die Kinder der Tagesschule Ackermätteli und deren Entwicklung der Selbstwirksamkeit notwendig ist. Aus diesem Grund müssen die Kinder oft eine Anpassungsleistung erbringen, für die sie aus sich selbst heraus noch nicht in der Lage sind. Bei uns gestalten wir das Lernen anders und versuchen eben die Freiheit zu ermöglichen, die die Schülerinnen und Schüler zu der besagten Selbstwirksamkeit führt», erklärt Thomas Maywald.

Der Unterricht auf dem Bauernhof wird je nach Alter und Niveau vorbereitet. Im Mathematikunterricht setzen sich die Kinder etwa mit Flächenmassen, Raum und Mengen auseinander. «Ein Viertklässler berechnet zum Beispiel die Fläche eines Ackers und läuft sie anschliessend ab. Lernen erfordert Kopf, Hand und Herz», sagt Thomas Maywald. «Unser Grundmotto ist Autonomie statt Anpassung. Die Balance der beiden beschäftigt uns seit Jahren: Wie viel Anpassung ist notwendig und wie viel Autonomie ist möglich, damit die Kinder bald wieder in die Regelschule zurückkehren können?»

Beim Mittagessen herrscht eine gesellige, aber ruhige Atmosphäre. Die Kinder konzentrieren sich auf das Essen, während die Klasse von Stephan Schmidt am Tisch sitzt, als wäre sie schon immer hier gewesen. Bevor sie sich auf den Heimweg machen, dürfen die Kinder auf dem Bauernhof spielen. Die meisten besuchen die Hühner, streicheln sie und stecken Grashalme durch das Gitter, wobei sie geduldig die leisen Reaktionen der Tiere beobachten.

Tamara Funck

Schule auf dem Bauernhof

Der Bauernhof Untere Tüfleten im Tiefental bei Dornach ist ein Schul-Bauernhof. Er steht den Schulen der Region für alle Klassenstufen für verschiedenartige Projekte zur Verfügung.

www.schule-bauernhof.ch

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