Wer unterrichtet hier?
Eine Schülerin rät
«Das Erste, was mir auffällt, sind die Buchstaben an der Wand und die Willkommensschilder in Farben der ukrainischen Flagge. Es könnte sein, dass dies ein Primarschulzimmer ist, in dem ukrainische Schülerinnen und Schüler unterrichtet werden. Das Zimmer ist ziemlich leer und eintönig. Deshalb ist es vielleicht doch eher ein Kleinklassenzimmer. In der Primarschule sind Klassenzimmer viel farbenfroher, mehr dekoriert, und es hätte auch Bilder. Wir hatten auf den Buchstaben auch Zeichnungen, damit wir sie einfacher lernen konnten. Ist es ein Zimmer für ukrainische Teenager? Es könnte in der Sekundarschule Theobald Baerwart sein, da das Gebäude dort älter ist. Der dunkle Holzbalken passt zwar nicht zu einem frisch sanierten Schulhaus. Da das Zimmer sehr klein ist, denke ich, dass hier um die 10 bis 15 Schülerinnen und Schüler Unterricht haben. Ich möchte nicht interpretieren, ob hier eine Frau oder ein Mann unterrichtet, da ich nicht in solchen Stereotypen denke. Trotzdem glaube ich, dass die Lehrperson idealerweise zweisprachig ist, wie bei uns. Wir haben auch zwei ukrainische Teenager neu in unserer Klasse. Die Kinder in diesem Schulzimmer sind sicher viel fokussierter auf die Lehrperson, da die Tische frontal zur Wandtafel stehen, nicht wie bei uns im Atelier-Unterricht. Ich finde das Zimmer ziemlich kahl dafür, dass hier Teenager empfangen werden. Es ist nicht wirklich «heimelig». Man merkt, dass es schnell eingerichtet worden ist. DieWillkommensschilder finde ich sehr „härzig“. Falls es wirklich eine Kleinklasse mit ukrainischen Teenagern ist, hoffe ich, dass sie bald in die Regelklassen können und sie herzlich aufgenommen werden.»
Auflösung
Quinn hat dank den gelb-blauen ukrainischen Flaggen richtig vermutet, dass in diesem Zimmer ukrainische Jugendliche unterrichtet werden. Richtig ist auch ihr Eindruck, dass es kein Primarschulzimmer ist. Die Ukrainerin Maryna Zelenyuk arbeitet seit kurzem als Deutschlehrerin für geflüchtete Jugendliche im Sekundarschulalter.
Die Situation von Maryna Zelenyuk ist schwierig und aufreibend. Drei Wochen nach Beginn der Invasion Russlands entschloss sie sich, mit ihrer Tochter Kyjiw zu verlassen. Das Leben in der ukrainischen Hauptstadt wurde von Tag zu Tag gefährlicher. «Die russische Armee zerstörte Bucha und Irpin in der Nähe von Kyjiw, folterte, vergewaltigte und tötete Hunderte von Frauen und Kindern», sagt Maryna Zelenyuk. Ihr Mann sowie viele andere ukrainische Männer mussten in der Ukraine bleiben.
In ihrer Heimat unterrichtete Maryna Zelenyuk Biologie und Chemie. Als sie erfuhr, dass in Basel dringend ukrainische Lehrpersonen mit Deutschkenntnissen gesucht werden, hat sie nicht lange gezögert und sich sofort gemeldet. Dann ging alles ganz schnell. Und seither unterrichtet sie im Dachstock der Sekundarschule Theobald Baerwart gemeinsam mit einem anderen Lehrer Deutsch für geflüchtete Jugendliche aus der Ukraine. Die steigenden Temperaturen und der bevorstehende Sommer sind im Klassenzimmer dieser Sonderklasse deutlich spürbar. Die Hitze staut sich.
Nicht nur in der Pause
Die zehn Jugendlichen aus ihrer Klasse kommen aus unterschiedlichen Regionen der Ukraine und haben sich in diesem Raum in einer Schicksalsgemeinschaft zusammengefunden. Das Ziel ist für alle das gleiche: Möglichst schnell Deutsch zu lernen. Obwohl sie hier gut aufgehoben sind, hoffen die Jugendlichen auf ein schnelles Kriegsende, um möglichst bald wieder in ihre ursprüngliche Heimat zurückzukehren.
An diesem Standort besuchen die Jugendlichen zuerst eine Sonderklasse und bekommen intensiv Deutschunterricht. «Wir sollten die Jugendlichen aber nicht allzu lange separieren und zeitnah auf die Regelklassen verteilen», sagt Maryna Zelenyuk. «Für eine möglichst schnelle Integration der Jugendlichen wären durchmischte Klassen am sinnvollsten. Zurzeit gibt es abgesehen von den Pausen nur wenig Begegnungsmöglichkeiten. Es wäre schön, wenn die ukrainischen Teenager vermehrt Kontakt auch während des Unterrichts zu anderen Mitschülerinnen und Mitschülern hätten. Beispielsweise im Zeichnungs- oder Sportunterricht.» Nicht alle Jugendlichen haben die gleiche Ausgangslage. Entsprechend unterschiedlich sind ihre Lernfortschritte. Ein Mädchen beispielsweise hat schon gute Deutschkenntnisse. Die Schulleitung ist informiert. Maryna Zelenyuk hofft, dass solche Jugendliche nach den Sommerferien in eine Regelklasse wechseln dürfen.
Spagat zwischen zwei Welten
Neben den zwei Tagen an der Sekundarschule Theobald Baerwart unterrichtet Maryna Zelenуuk auch dreimal pro Woche online ihre Schülerinnen und Schüler aus Kyjiw, wie schon in der Corona-Pandemie. Einziger Unterschied: Jetzt nimmt nur noch die Hälfte der Klasse am Unterricht teil. Der Rest hat entweder kein Internet oder ist geflüchtet. Die Arbeit mit den geflüchteten Schülerinnen und Schülern in Basel ist herausfordernd und eine wohltuende Ablenkung. In Momenten der Ruhe wünscht sich Maryna Zelenyuk wieder als Familie vereint zu sein. «Am wichtigsten ist, dass die Ukraine diesen Krieg überleben und Moskau besiegen muss. Ich bin allen Ländern dankbar, die nicht nur Flüchtlingen beim Überleben helfen, sondern auch der Ukraine zum Sieg verhelfen. Die Ukrainer brauchen ihr eigenes Land, in das sie zurückkehren können.»
Text und Foto: Grischa Schwank und Lara Zimmermann