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Chancen für Jugendliche mit Migrationshintergrund

17.05.2024
Das Entwicklungsprojekt ChâBâle an der WMS, der IMS und dem Wirtschaftsgymnasium richtet sich an Schülerinnen und Schüler mit Migrationshintergrund in schwierigen sozioökonomischen Verhältnissen. Ziel ist ein geglückter Schulabschluss. Wie läuft das konkret ab? Ein Besuch
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Nach Ende des Schulunterrichts wird in der Mensa weiter gearbeitet. Foto: Grischa Schwank

«Haben Sie ein Lernziel bekommen? Wann haben Sie Ihre Prüfung? – Holen Sie sich erst etwas zu trinken.» Umringt von einer Gruppe Schülerinnen und Schüler aus der Wirtschaftsmittelschule sitzt Handan Gögen an einem der Tische in der Mensa. Es ist nach vier Uhr und es geht um Finanzbuchhaltung, um Fragen zur Deklarationspflicht oder das Prinzip der Verrechnungssteuer. Die Lehrerin für Wirtschaft und Recht klärt Fragen anhand konkreter Beispiele. Es wird ruhig gearbeitet, auch an anderen Orten im Raum. «Wenn ich hier bin, lerne ich auch wirklich und bin nicht dauernd abgelenkt», meint eine Gymnasiastin, die mit zwei Kolleginnen einen Vortrag zu «Romeo und Julia auf dem Dorfe» vorbereitet. Eine andere Schülerin schätzt die Unterstützung, die sie in Informatik bekommt: «Das kann ich mir zu Hause nicht selber beibringen.»

Die 30 Schülerinnen und Schüler, alle aus ersten Klassen, werden von acht Lehrpersonen während eines Jahres jeweils zwei Stunden pro Woche begleitet. «Die Jugendlichen sollen nach einem individuellen Lehrplan vorgehen. So ist eine Binnendifferenzierung möglich, die der Regelunterricht nur selten zulässt», resümiert Stefan Rüegger, der mit Handan Gögen das Programm leitet: «Wir wollen nicht nur Wissen vermitteln, sondern auch das Selbstbewusstsein der Teenager stärken. Denn Jugendliche mit Migrationshintergrund, die aus sozioökonomisch tieferen Schichten kommen, haben schlechte Startbedingungen. Sie hören oft, wo sie nicht genügen, und bekommen schulisch weniger Unterstützung von ihrem Umfeld.» Wer sich für «ChaBâle» entscheidet, verpflichtet sich für zwei Semester. Das schaffe Kontinuität und sichere den Erfolg des Programms, fügt Rüegger an.

Zentral ist die Autonomie

Maria Alma Kassis, Dozentin für Pädagogische Psychologie mit Schwerpunkt Erziehung und Entwicklung an der PH FHNW, evaluiert und entwickelt das Programm laufend weiter. Aktuell stehen die Gymnasiastinnen und Gymnasiasten im Fokus ihres Interesses: «Wie können wir die Erfahrungen, die wir in den vergangenen vier Jahren mit Lernenden der Wirtschaftsmittelschule gemacht haben, auf die Situation der Gymnasiastinnen und Gymnasiasten des Wirtschaftsgymnasiums übertragen?»

In der aktuellen Gruppe sind 13 Jugendliche aus dem Gymnasium integriert. Möglichst viele von ihnen sollen in vier Jahren die Matur bestehen. Zentral sei dabei die Autonomie der Jugendlichen. Sie sollen ihre Bedürfnisse und Lernwünsche selber formulieren und zur Vorbereitung rechtzeitig an die Lehrpersonen übermitteln, erklärt die Pädagogin: «Das ist vor allem am Anfang gar nicht so einfach. Sie lernen so aber auch Arbeitsorganisation.» Über «ChaBâle» sollen die Schülerinnen und Schüler innerhalb eines Jahres an die freiwilligen Lernateliers herangeführt werden, die an der Schule jeweils einmal pro Woche stattfinden. Ab kommendem Januar sollen Praktikantinnen und Praktikanten der PH FHNW am Projekt mitarbeiten, die Abklärungen dazu laufen.

Von Charlotte Staehelin

 

ChaBâle

«ChaBâle» ist ein Förderprogramm für Schülerinnen und Schüler auf der Sekundarstufe II. Im Zentrum stehen Jugendliche mit Migrationshintergrund in schwierigen sozioökonomischen Verhältnissen. Das Konzept wurde in Anlehnung an die Zürcher Programme ChagALL und ChagALL+  entwickelt. Der erste Pilot an der Wirtschaftsmittelschule in Basel startete 2016, seither wird das Programm stetig weiterentwickelt. Es wird von der PH FHNW wissenschaftlich begleitet und finanziell vom Kanton, von privaten Stiftungen und der PH FHNW getragen.

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