Er vereint das M und das B von MB in einer Person
Um ein Haar wäre alles ganz anders herausgekommen. Und Ulrich Maier wäre gar nicht im Schulkosmos gelandet. Nun steht er vor der Pensionierung und hat über 35 Jahre und damit sein ganzes Berufsleben der Bildung junger Menschen gewidmet.
Viele Zufälle
«Lehrer wurde ich durch Zufall», sagt Maier heute. «Nach dem Studium wollte ich eigentlich eine Dissertation schreiben.» Dann kam da aber diese Anfrage für eine Stellvertretung am Gymnasium Muttenz – und traf auf Maiers Wunsch nach einer Auszeit von Bibliotheken, Doktoranden-Seminaren und Professoren-Sprechstunden. «Und so begann ich als Aushilfe an jenem Gymnasium, aus dem ich 25 Jahre später als Rektor hinauslief.»
Der Zufall war Maier ein treuer Begleiter während seiner Laufbahn, und Maier ist sich dessen bewusst. «Ich war mein Berufsleben lang unglaublich privilegiert», stellt er heute rückblickend fest. «Immer wieder eröffneten sich für mich Möglichkeiten, die ich immer auch wahrzunehmen bereit war.» Schon bei seiner ersten Stelle als Aushilfslehrer habe er das Gefühl gehabt, am richtigen Ort angekommen zu sein. «In meinem Berufsleben gab es immer glückliche Fügungen, und ich bin dafür sehr dankbar. Ich weiss, dass es vielen nicht so geht.»
Gerade im Dienst jener, denen es eben nicht so geht, hat Maier seine Aufgabe immer verstanden. Denn ironischerweise lässt sich der Kern von Maiers Jobbeschreibung – egal auf welcher Station – eigentlich immer mit dem Gegenteil von Zufall beschreiben: Bildung sorgt idealerweise für Chancengerechtigkeit. Und sollte damit ein Stück weit gegen Zufall und Fügung immunisieren.
Das M und das B zusammenführen
Als Leiter des Bereichs Mittelschulen und Berufsbildung (MB) im Erziehungsdepartement übernahm Maier 2014 eine frisch reformierte Organisation. Eine seiner Hauptaufgaben dabei lautete: «Das M und das B zusammenführen», wie Maier es sagt, also Mittelschulen und Berufsbildung unter einem Dach vereinen. Gymnasium und Lehre sollten damit auch organisatorisch gleichberechtigt werden. Für den Thurgauer Maier eine Selbstverständlichkeit: «Da, wo ich aufwuchs, in Kreuzlingen, war die Maturität die Exotin unter den Wegen nach der obligatorischen Schule – und nicht die Berufsbildung.»
Unter ähnlichen Umständen arbeitete er später auch im Kanton Baselland, zuerst als Gymnasiallehrer, dann als Rektor: «Im Baselbiet hatte die Berufsbildung auf allen Ebenen, von der Bevölkerung übers Parlament bis zur Regierung, immer schon ein grosses Gewicht.» Seinen neuen Posten in der Stadt packte er daher «ein Stück weit naiv» an, wie er heute feststellt: «Wie gross die Präferenz der akademischen Bildung und somit des gymnasialen Bildungswegs in Basel-Stadt ist, hatte ich zuvor unterschätzt.»
Langsame Trendwende
Kritik an einer tiefen Berufsbildungs- und einer hohen Gymnasialquote aus Politik und Medien begleiteten Maier während des ganzen knappen Jahrzehnts am Erziehungsdepartement. «Es ist so: Die Berufsbildung wird im Kanton Basel-Stadt noch immer unterschätzt. Es gibt gar keine Alternative, als weiter daran zu arbeiten», hält Maier fest. Erste Erfolge zeigen sich: Die Quote jener jungen Menschen, die direkt von der Schule in die berufliche Grundbildung übertreten, ist in den letzten Jahren in Basel-Stadt langsam gestiegen. Wobei es für die Messung von Veränderungen im Bildungswesen natürlicherweise einen langen Atem braucht. «Auswirkungen von Reformen lassen sich erst mit grosser Verzögerung, frühestens zehn Jahre später feststellen», so Maier.
Zwei neue Projekte hat Maier nun noch aufgegleist – sie sollen unter anderem die Berufsbildung weiter stärken. Beide sollen sie Basel-Stadt näher ans 95-Prozent-Ziel führen, das sich Bund und Kantone gesetzt haben. Also ans Ziel, dass 95 Prozent der Jugendlichen bis 25 einen Abschluss auf der Sekundarstufe II haben. Für Maier ist das auch ein persönliches Anliegen: «Im Kontakt mit Lehrbetrieben oder Verbänden konnte ich immer wieder feststellen, wie unglaublich engagierte Leute da mit immensem Elan und Stolz arbeiten. Davon könnten sich manche ein Stück abschneiden.»
Der Pragmatiker
Aussagen wie diese stehen für das B wie Berufsbildung in MB. Und sagen gleichzeitig etwas über die Person Ulrich Maier aus: Der Bereichsleiter ist kein Theoretiker, sondern Pragmatiker. Er packt an. Bürokratische Prozesse überwindet er nach einem knappen Jahrzehnt mit dem nötigen Pragmatismus (und oft mit einer Ladung trockenen Humors).
Gleichzeitig schlägt er gerne die grösseren gedanklichen Bögen. Wer mit ihm über eines seiner Projekte redet, diskutiert rasch nicht nur über das einzelne Projekt, sondern über die grosse gesellschaftliche Entwicklung, die dahintersteht. Das Wohin und Warum, die Metaebene. Das ist gewissermassen das M wie Mittelschulen – der Philosoph, der ebenso in Maier steckt.
Widersprüchliche Strömungen
So beobachtet er im Bildungssystem in den letzten Jahren gegenläufige Tendenzen: «Wir haben eine immer stärkere Individualisierung. Wir sind gefordert, immer noch individuellere, bedarfsgerechtere Lösungen zu kreieren, von der Begabtenförderung bis zur Sportklasse. Und gleichzeitig ist da das Bestreben nach immer mehr Standardisierung, damit die Chancengerechtigkeit gewahrt werden kann, mit standardisierten Leistungsmessungen von Checks bis PISA.» Wie man das vereint, darauf hat auch Maier keine Antwort.
Noch grundlegender wird er beim Thema Service public – bei den öffentlichen Dienstleistungen des Staats: «Wir sind konfrontiert mit einem unglaublichen Ausbau der Leistungen im Gemeinwesen. Die Schule etwa entwickelt sich zum Ganztags-Lebensraum.» In vielen Bereichen werden Eltern bedarfsgerecht unterstützt, mit Beiträgen an die Kita zum Beispiel. Anderswo ist Bildung für alle kostenlos oder hat für alle denselben Preis, unabhängig vom Einkommen und Vermögen. Was Maier zur Frage führt: «Muss eine Uni-Ausbildung grundsätzlich für alle immer praktisch gratis sein? Während der Bäcker seine höhere Berufsprüfung zu 50 Prozent aus dem eigenen Sack bezahlen muss?»
Auch hier geht es Maier weniger um Studien- oder Prüfungsgebühren an sich, sondern um die grössere Entwicklung, die er dahinter sieht: «Demokratien der westlichen Prägung sind in einer Krise, weil eine zunehmende Anzahl von Menschen den Wert des staatlichen Gemeinwesens nicht mehr erkennt.» Klar ist: Wer den Wert des staatlichen Gemeinwesens generell nicht mehr erkennt, wird insbesondere auch den Wert eines öffentlichen Bildungssystems an sich in Frage stellen. «Das macht mir Sorgen.»
Vom Büro ins Ehrenamt
Nach der Pensionierung möchte Maier praktisch anpacken und Freiwilligenarbeit leisten – zum Beispiel in einem Altersheim. Und als treuer Fussballfan möchte er seinen Club, den SC Freiburg, auf möglichst vielen Auswärtsspielen «in ganz Europa» begleiten. «Und ansonsten werde ich lernen dürfen, mit mir selbst zurechtzukommen – ganz ohne Outlook», witzelt Maier.
Und so hält er auch nach seiner Berufslaufbahn die Tür für den Zufall geöffnet.
Text: Gaudenz Wacker
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Der Bereich Mittelschulen und Berufsbildung trägt die Verantwortung für die Bildungs- und Unterstützungsangebote der Sekundarstufe II. Dazu gehören unter anderem die berufliche Grundbildung, die weiterführenden Schulen und die Berufsintegration. Zudem ist der Bereich für die höhere Berufsbildung sowie für Angebote der Erwachsenenbildung zuständig. Nach der Pensionierung von Ulrich Maier übernimmt Patrick Langloh per 1. Januar 2024 die Leitung des Bereichs MB. |