Melting Pot statt Muotathal
Die Stelle «Leiter Volksschulen in Basel-Stadt» hat mich gereizt, weil …
ich grundsätzlich ein neugieriger Mensch bin und nach gut acht Jahren als Leiter Volksschulen und Sport in Schwyz noch einmal etwas Neues wagen wollte. Und: Basel ist einfach eine tolle Stadt! Das fanden meine Frau und ich schon immer. Das grosse kulturelle Angebot, die weltoffenen Menschen – das gilt auch für die Politik – die Lage am Dreiländereck, das hat einfach gepasst. Meine Aufgabe hier in Basel ist zwar nicht völlig neu, aber in einem neuen, urbanen Umfeld. Das hat mich gereizt. Zudem sind unsere Töchter inzwischen flügge, sodass auch der Moment günstig war.
Mein erster Eindruck der Basler Volksschulen ist …
grundsätzlich sehr gut. Ich spüre auf allen Ebenen viel Wohlwollen. Auch Neugier, aber wohlwollend. Die Basler Volksschulen sind weit entwickelt, der Ausbaustandard ist hoch. Es ist spürbar, dass die Politik viel in die Bildung investiert. Der Bereich Integration etwa ist gut aufgegleist, es sind viele Ressourcen vorhanden. Die Frage ist: Können diese Ressourcen auch ihre volle Wirksamkeit entfalten? In Sachen Outcome und Output sind wir noch nicht dort, wo wir hin möchten …
Der grösste Unterschied zu meiner früheren Stelle im Kanton Schwyz ist, …
dass Basel ein Stadtkanton mit einem ganz anderen Gefüge ist. In Schwyz sind die Schulen auf Gemeindeebene organisiert, meine Aufgaben waren demnach vorwiegend im strategischen Bereich. Hier bin ich gleichzeitig strategisch und operativ tätig, die Landschulen ausgenommen. Als Stadtkanton hat Basel natürlich andere Brennpunkte, andere soziale Herausforderungen. In einem Melting Pot stellen sich andere Fragen als im Muotathal.
Besonders beeindruckend in Basel finde ich …
den weit fortgeschrittenen Ausbau der Tagesstrukturen. Auch in Sachen frühe Deutschförderung ist Basel der Vorzeigekanton. Und sonst? Siehe Antwort eins.
Die grösste Überraschung in den ersten Wochen in Basel war für mich, …
wie viele schöne Schulhäuser es hier gibt. Es ist offensichtlich, dass die Stadt bereit ist, in Schulbauten und eine hohe Infrastruktur zu investieren. Das hat mich positiv überrascht. Wenn man mehrere Jahre im Ausland gearbeitet hat, fallen einem die schönen Schulen in der Schweiz generell auf. Aber für Basel gilt das ganz besonders.
Integration scheint mir an Basler Schulen …
weit entwickelt. Grosse Probleme bereitet uns, wie überall, die wachsende Zahl an verhaltensauffälligen Kindern. An gewissen Standorten ist die Not gross und wir haben noch nicht überall zufriedenstellende Antworten. Schwierig ist es in Notsituationen, wenn es brennt. Wir haben die Instrumente, zum Beispiel die KIS oder die Schulsozialarbeit und den Schulpsychologischen Dienst, diese müssen wir überprüfen und allenfalls anpassen. Grosse Sorgen macht uns der überdurchschnittlich hohe Anteil von Kindern mit einer Autismus-Spektrum-Störung. Trotzdem gilt es, die Schule als Gesamtheit im Auge zu behalten und sie nicht um einzelne Kinder mit besonderen Bedürfnissen herumzubauen. Die Regelschule darf nicht übermässig belastet werden, sondern muss auch dem überwiegenden Anteil jener Kinder gerecht werden, die keine besonderen Massnahmen brauchen.
Die Leistungen der Basler Schülerinnen und Schüler sind …
ein kritischer Punkt. Die Basler Resultate der ÜGK (schweizweite Überprüfung des Erreichens der Grundkompetenzen, die Red.) waren schlecht. Das bedeutet aber nicht, dass unsere Schulen schlecht sind. Die Tests sind Momentaufnahmen von Leistungen zu einer bestimmten Zeit in speziellen Fächern. Aber die Schule als Ganzes ist viel mehr! Nie gemessen werden die Kompetenzen im Sport, in musischen Fächern, der soziale Zusammenhalt oder die Schulkultur. Das alles sind Qualitätsfaktoren, die ebenfalls wichtig sind. Leistungsüberprüfung ist wichtig, aber wir müssen Schulqualität breiter denken (vgl. Leitartikel von Conradin Cramer). Ziel ist es natürlich trotzdem, die Leistungen der Basler Schülerinnen und Schüler zu verbessern.
Die Unterrichtsqualität an Basler Schulen …
kann ich nach so kurzer Zeit noch nicht beurteilen. Ich glaube aber nicht, dass sie schlecht ist. Der Lehrplan 21 und die dahinter stehende Schulentwicklung sind eine grosse Herausforderung. Kompetenzorientiert Unterrichten bedeutet für viele Lehrpersonen einen Kulturwandel. Das Formative wird heute stärker betont, trotzdem rückt die messbare Leistung im Verlauf der Schulzeit in den Vordergrund. Wir sind nun mal eine Leistungsgesellschaft, der Unterricht muss da Schritt halten.
Digitalisierung ist …
ein ganz wichtiges Thema. Der Kanton Schwyz ist diesbezüglich sehr weit. An der PH Schwyz forscht das Institut für Medien und Schule schon seit Jahren unter anderem zur Frage, wie sich Lehr- und Lernprozesse sinnvoll mit Medien unterstützen lassen. Es wurde viel in Aus- und Weiterbildung investiert. Es ist wichtig, dass sich Lehrpersonen das nötige Wissen aneignen. Ich bin darum etwas überrascht, dass in Basel-Stadt – im Gegensatz zu anderen Kantonen – Weiterbildung wenig verbindlich ist. Lehrpersonen müssen aber die notwendigen Schritte machen, das muss in Fleisch und Blut übergehen. Ich bezweifle, ob dazu wirklich alle freiwillig bereit sind. Digitalisierung ist sicher nicht allein glückselig machend. Aber wir müssen die Kinder auf eine zunehmend digitale Berufswelt vorbereiten.
Partizipation bedeutet für mich …
mitdenken und angstfrei seine Meinung äussern können. In Basel sind die Kantonale Schulkonferenz KSBS und die gewerkschaftliche FSS sehr gut aufgestellt und für mich wichtige Partner. Auch der Austausch mit den Schulleitungen ist mir ganz wichtig, auch wenn dann halt nicht alle Entscheide immer basisdemokratisch gefällt werden können. Es gibt kantonale Leitlinien, und da erwarte ich Loyalität.
Mein wichtigstes Ziel in naher Zukunft ist …
eine möglichst hohe Schulqualität. Dies mit Fokus auf alle Kinder, nicht nur auf jene vier Prozent mit speziellen Bedürfnissen. Denn Auftrag der Schule ist es, alle Kinder erfolgreich in das gesellschaftliche Leben einzuführen. Ein weiteres Ziel: Ich möchte mehr Verbindlichkeit für die vielen guten Ideen und Projekte, die momentan angedacht oder am Laufen sind. Man muss aufpassen, dass man sich nicht verzettelt. Also lieber mal etwas zu Ende bringen als immer Neues aufgleisen, auch wenn es vielleicht eine gute Sache wäre.
Yvonne Reck Schöni und Peter Wittwer
Foto: Grischa Schwank
Urs Bucher Urs Bucher (55) ist seit Anfang August Leiter der Volksschulen Basel-Stadt, als Nachfolger des pensionierten Dieter Baur. Der gebürtige Luzerner war zuletzt während achteinhalb Jahren Vorsteher des Amtes für Volksschulen und Sport im Kanton Schwyz. Er hat in Lausanne und in Mexiko Germanistik, Hispanistik, Soziologie und Anthropologie studiert. Von 2007 bis 2011 war er Direktor der Schweizer Schule in Madrid. Zuvor war er in weiteren Schulleitungs- und Lehrfunktionen in der Zentralschweiz und in der Romandie tätig. Er besitzt zudem ein CAS für die öffentliche Verwaltung. |