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Praxisnah und juristisch fundiert

19.09.2024
Sexting, Cybermobbing oder Datenmissbrauch: Das sind nur einige der Gefahren, mit denen Minderjährige im Internet konfrontiert sind. Die Volksschulen haben auch im Hinblick auf neu in Kraft getretene Gesetzesbestimmungen eine Handreichung verfasst, die Lehrpersonen Hintergrundwissen und Handlungsanweisungen in Konfliktfällen liefert.
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Die neue Handreichung im Handbuch will einen Beitrag leisten, dass die Lehrpersonen ihren Präventionsauftrag im Bereich des Umgangs mit digitalen Medien adäquat wahrnehmen können. Foto Grischa Schwank

Nur wer digitale Medien nutzt, kann lernen, sich in riskanten Situationen richtig zu verhalten. Ausgehend von dieser Überzeugung haben die Volksschulen unter dem Titel «sicher?!online:-)» eine Handreichung für Lehrpersonen zu dieser komplexen Thematik veröffentlicht (vgl. Text unten). Mit dem Lehrplan 21 und der Abgabe von persönlichen edubs-Books ab der 5. Klasse stehen neben den Erziehungsberechtigten auch die Schulen in der Pflicht, die notwendigen Kompetenzen für einen sicheren Umgang mit digitalen Medien zu vermitteln. Bereits in der obligatorischen Schulzeit gelte es, allen Kindern und Jugendlichen ein verantwortungsvolles Handeln im Netz zu vermitteln, «das risikobewusst und zugleich angstfrei ist», ist deshalb in der neuen digitalen Broschüre zu lesen. 

Wichtig in diesem Prozess ist die Erkenntnis, «dass nicht das Medium in erster Linie das Problem ist, sondern der Umgang mit diesem und deren Inhalten», schreibt das Autorenteam in seiner Einleitung: «Das Internet und die verschiedenen sozialen Plattformen sind ein Teil der Erwachsenenwelt und widerspiegeln alle Licht- und Schattenseiten unserer Gesellschaft. Teile des Internets bergen deshalb ernst zu nehmende Risiken: nicht nur, aber vor allem für Kinder und Jugendliche».  

Gefahren mit Fallbeispielen beschrieben

Trotz oder gerade wegen dieser potentiellen Risiken wäre es also falsch, Kindern und Jugendlichen den Zugang zu digitalen Medien generell zu verwehren. Sie sollen mündige Mitglieder der Informationsgesellschaft werden. Dass dies nicht reibungslos vonstattengeht, versteht sich von selbst: Die Handreichung geht deshalb auf 24 Seiten systematisch auf Gefahren ein, die durch eine missbräuchliche Nutzung des Internets entstehen können. Jedes der Kapitel wird mit Fallbeispielen und Interviews illustriert und Lehrpersonen finden zu jedem Thema auch Handlungsanweisungen, die sich in der Praxis bewährt haben. Ergänzt wird das Ganze mit Angaben zu den Rechtsgrundlagen im Strafgesetzbuch. Dies ist auch deshalb wertvoll, weil die einschlägigen Paragraphen zu den Grenzen der Legalität im Umgang mit Pornografie und Gewaltdarstellungen im Internet diesen Sommer präzisiert worden sind. Am Schluss der Kapitel und der Broschüre sind auch Links zu den zahlreichen Anlaufstellen in und ausserhalb des Kantons platziert, an die sich Lehrpersonen wenden können und sollen.

41 Prozent wurden schon sexuell belästigt

Wer die Handreichung liest, bekommt - fokussiert auf den schulischen Kontext - einen guten Überblick über das ganze Spektrum von Möglichkeiten, online mit dem Gesetz in Konflikt zu kommen oder Opfer von strafbaren Handlungen im Internet zu werden. Viel Raum nimmt da natürlich der Schutz vor Sexualstraftaten ein, die durch die Anonymität des Internets eine neue Dimension bekommen haben. Gemäss einer aktuellen Umfrage sind 41 Prozent der 15- bis 16-Jährigen schon einmal im Netz gegen ihren Willen nach sexuellen Inhalten gefragt worden.

Die Handreichung geht deshalb nicht nur ausführlich darauf ein, wie Lehrpersonen damit umgehen sollten, wenn ein Kind unfreiwillig mit schockierenden Inhalten konfrontiert wird. Sie enthält auch praxisnahe Tipps,

wie auf Belästigungen über das Internet wie Nötigungen, Sexting oder Cybergrooming zu reagieren ist - oder noch besser, wie diese präventiv verhindert werden können. Umgekehrt wird aber auch thematisiert, wie Lehrpersonen sich verhalten sollten, wenn sie erfahren, dass sich ein Kind beispielsweise durch das arglose Weiterverbreiten von Pornographie oder Gewaltdarstellungen eventuell selbst strafbar gemacht hat.

Weder vertuschen noch dramatisieren

Ein grosses Thema in schulischem Kontext ist auch das Mobben und generell das Weiterverbreiten von ehrverletzenden oder diskriminierenden Inhalten via soziale Plattformen. Auch hier erfährt man in der Broschüre nicht nur, wo die rechtlichen Grenzen verlaufen. Ausführlich beschrieben wird auch, wie Lehrpersonen eingreifen können, wenn die Präventionsmassnahmen in diesem Bereich nicht die gewünschte Wirkung gezeigt haben. Ein Grundsatz, der hier und auch in Situationen, in denen beispielsweise durch Missbräuche finanzieller oder technischer Schaden entstehen kann, lautet: Akute Risikosituationen dürfen weder vertuscht und bagatellisiert noch dramatisiert und aufgebauscht werden. 

Ein ähnlich pragmatischer Zugang wird in der Handreichung auch dann empfohlen, wenn bei einem Kind oder Jugendlichen Anzeichen von problematischer Mediennutzung festgestellt werden. Sehr hilfreich für Lehrpersonen dürften hier neben griffigen Definitionen («wenn das Netz wichtiger wird als alles andere») und Listen möglicher Suchtsymptome, ganz praktische Anweisungen sein, wie Betroffenen schrittweise aus der oft selbst nicht bewussten Abhängigkeit herausgeholfen werden kann.

Prävention hat erste Priorität

In der Handreichung wird generell darauf verzichtet, permanent den Mahnfinger zu heben und das Internet zu verteufeln. Im Gegenteil: Durch die Kombination von richtigem Verhalten und einigen technischen Vorkehrungen lassen sich die Risiken nie ganz vermeiden, aber minimieren, ist das Autorenteam überzeugt. Das ist am Schluss der ausführlichen Analyse der vielen Fallen zu lesen, in die man als Erwachsene und erst als Minderjährige tappen kann, wenn man online unterwegs ist. Die wirksamste Präventionsmassnahme sei eine konsequente Anwenderschulung auf Basis des Lehrplan 21. Kombiniert mit organisatorischen Massnahmen, wie sie in den Nutzungsrichtlinien der edubs-Books verankert sind, bieten sie bereits einen starken Schutz - sofern deren Einhaltung von Lehrpersonen auch konsequent eingefordert wird.

Wieso braucht es eine Handreichung?

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Auch die Schulen sind in der Pflicht, die notwendigen Kompetenzen für einen sicheren Umgang mit digitalen Medien zu vermitteln: Akute Risikosituationen dürfen dabei weder vertuscht und bagatellisiert, noch dramatisiert und aufgebauscht werden. Foto: unsplash.com

Mit Einführung der edubs-Books haben sich bei den Fachleuten im ED die Anfragen aus den Schulen zur Frage des richtigen Umgangs mit den digitalen Möglichkeiten gehäuft. Immer wieder wurden Vorfälle gemeldet, in denen Lehrpersonen nicht wussten, wie sie beispielsweise damit umgehen sollen, wenn im Unterricht heimlich gegamt oder in den Teams-Chat ein Kind gemobbt wird. Im Frühjahr 2022 wurde deshalb an einer Stufenleitungskonferenz der Sekundarschule beschlossen, eine Handreichung zu verfassen, die praxisnah Tipps zur Lösung der gängigsten Probleme und den Lehrpersonen das nötige Grundlagenwissen liefert, um zu verstehen, wie und wieso Kinder und Jugendliche sich im Netz verhalten.

Es braucht pädagogische Lösungen

«Bereits bei der Abgabe der persönlichen Geräte war klar, dass sich dadurch die Trennlinie zum Unterricht verschiebt und Konflikte entstehen, die sich nicht allein technisch lösen lassen», sagt Christina Schmitt, die in der Fachstelle Pädagogik für medienpädagogische Fragen zuständig ist. Alle Schutzfilter haben Lücken und die heiklen Situationen, die durch die Neugier der jungen Nutzerinnen und Nutzer beim Ausloten der Grenzen entstehen, lassen sich deshalb letztlich nur pädagogisch nachhaltig lösen. 

Da viele Lehrpersonen nicht genau wissen, wo sie intervenieren müssen, weil die Grenzen von gängiger Jugendkultur zu strafbaren Handlungen überschritten werden, machte sich ein Redaktionsteam vor zwei Jahren daran, die dazu erforderlichen Infos zusammenzutragen. Ausser Christina Schmitt und Lukas Kissling, dem Gesamtleiter des Projekts Ausbau Digitalisierung, gehört diesem Team auch Jael Gysin von der Schulsozialarbeit an. Als Zuständige für den Fachbereich Gesundheitsförderung und Prävention ist auch sie in ihrer Arbeit vermehrt mit Missbräuchen im digitalen Raum konfrontiert.

Im Bewusstsein, dass sie sicher nicht die ersten sind, die sich dieser Problematik annehmen, hat sie das Dreier- Redaktionsteam umgeschaut, was es in anderen Kantonen bereits gibt. Am meisten überzeugt hat die drei Fachleute eine Broschüre des Kantons St. Gallen. Von Anfang an ging man davon aus, dass es über lokale Adressanpassungen und weiterführende Links hinaus in den Texten Aktualisierungen und Ergänzungen braucht. Dies insbesondere auch deshalb, weil auf Sommer 2024 die strafrechtlichen Bestimmungen in diesem Bereich auf Bundesebene angepasst wurden

St. Galler Broschüre aktualisiert

Um Ressourcen zu sparen, wurde die St. Galler-Broschüre als Basis genommen, doch: «Am Ende haben wir sogar am Aufbau mehr Veränderungen vorgenommen, als ursprünglich vorgesehen war», stellt Christina Schmitt rückblickend fest: «Wir haben zum Beispiel ganze Kapitel, wie etwa das zum Thema Sucht umformuliert, und natürlich auch die Verweise auf Anlaufstellen und weiterführende Infos an die Bedürfnisse der Basler Lehrpersonen angepasst». Diese Arbeit ist nun abgeschlossen: Am 5. September 2024 wurde das fertige Resultat der Überarbeitung der Schulleitungskonferenz vorgestellt und darauf im Handbuch Bildung (siehe QR-Code unten) den Lehrpersonen zugänglich gemacht.

Christina Schmitt ist optimistisch, dass die Handreichung einen hilfreichen Beitrag dazu leistet, dass die Lehrpersonen ihren Präventionsauftrag im Bereich des Umgangs mit digitalen Medien adäquat wahrnehmen können. Die Medienpädagogin stellt insgesamt eine erfreuliche Entwicklung in der Kompetenz der Lehrpersonen im Umgang mit der Digitalität im Unterricht fest: «Viele wissen inzwischen, mit was für Gefahren im digitalen Raum zu rechnen ist und haben auch bereits konkrete Erfahrungen im Umgang damit gemacht. Mit der Handreichung hoffen wir nun einen Beitrag zu leisten, dass Schulen sich sicherer fühlen».

Peter Wittwer

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