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«Die Teilautonomie ist auf gutem Weg»

21.06.2022
Seit rund einem Jahrzehnt gibt es die Teilautonomie an den Basler Volksschulen. Für Volksschulleiter Urs Bucher sind die teilautonomen Schulen aktuell eines der wichtigen Themen. Er hat den Eindruck, die grosse Mehrheit der Schulen sei mit dem aktuellen Spielraum zufrieden, würde sich aber wünschen, dass die Teilautonomie noch mehr genutzt wird.
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Volksschulleiter Urs Bucher appelliert ans «Unternehmertum» der Schulleitungen.

Urs Bucher (57) ist seit bald zwei Jahren Leiter der Volksschulen im Erziehungsdepartement des Kantons Basel-Stadt. Seinen Wechsel vom Kanton Schwyz, wo er zuvor Vorsteher des Amtes für Volksschulen und Sport war, nach Basel hat der gebürtige Luzerner bisher nicht bereut. Er fühle sich sehr wohl in Basel, sagt er dem Basler Schulblatt. «Es ist ein spannendes, herausforderndes Umfeld, und ich habe sehr viele tolle Leute um mich herum.» Die Zusammenarbeit auf allen Ebenen sei zudem geprägt von einer grossen, gegenseitigen Wertschätzung, sagt er. Und er habe noch einige Pläne, die er als Volksschulleiter gemeinsam mit den Schulen in Basel verwirklichen möchte.

Aktuell eines der wichtigen Themen für Bucher ist die Teilautonomie an den Basler Volksschulen. Vor rund einem Jahrzehnt hatten die Schulleitungen und damit auch die einzelnen Standorte mit einer Reform mehr Kompetenzen erhalten. Im September 2021 organisierte Bucher einen Austausch mit den Schulleitungen zu diesem Thema. Und bei seinen regelmässigen Besuchen bei den Schulleitungen vor Ort erkundigt er sich jeweils nach der Befindlichkeit – auch im Zusammenhang mit ihrer Teilautonomie. Die grosse Mehrheit der Schulen sei «relativ zufrieden» damit, sagt er. Doch warum ist Volksschulleiter Bucher dieses Thema so wichtig? Und was sind eigentlich seine Ansichten dazu? Das Basler Schulblatt hat ihn zu einem Interview getroffen.

Warum ist Ihnen das Thema teilautonome Schulen persönlich so wichtig?

Das Thema teilautonome Schulen ist mir so wichtig, weil es ein Führungsthema ist. Die Teilautonomie hat ganz viel mit Führung zu tun. Bei der Führung ist man auf eine gute Partizipation angewiesen. Das bedeutet, dass sich Freiheiten und Verantwortung im Gleichschritt entwickeln sollten. Und dabei spielt das Thema Teilautonomie eben eine ganz zentrale Rolle.

Operativer Auftrag Schule, strategischer Auftrag Volksschulleitung; Das Ziel und nicht der Weg ist definiert; Autonomer Gestaltungsraum bei der Umsetzung von Minimalstandards – welche dieser Definitionen von Schulleitungen am Treffen im September 2021 gefällt Ihnen am besten?

Alle drei der von Ihnen genannten Definitionen haben etwas für sich. Gerade die Corona-Pandemie hat allerdings gezeigt, dass sich die Volksschulleitung manchmal nicht auf strategische Planung beschränken kann, sondern auch operativ dafür sorgen muss, dass an allen Schulen die gleichen Regeln gelten und eingehalten werden. Wichtig ist in diesem Zusammenhang vor allem eines: Teilautonomie ist – wie es das Wort ja schon sagt – eine Teilautonomie und keine vollständige Autonomie. Und wichtig ist auch, dass es Teilautonomie in verschiedenen Bereichen gibt: Im pädagogischen, im organisatorisch-personellen sowie im finanziellen Bereich.

Wie lautet Ihr generelles Fazit nach rund einem Jahrzehnt Teilautonomie an den Basler Volksschulen?

Ein generelles Fazit zu ziehen ist schwierig, da ich ja erst seit zwei Jahren hier bin. Dennoch stelle ich grosse Unterschiede zwischen den Standorten fest, wie sie ihren Spielraum nutzen. Sich zufrieden zurücklehnen kann man bei diesem Prozess, der nie abgeschlossen ist, natürlich nie. Ich habe aber den Eindruck, wir sind auf einem guten Weg. Im Zuge der massiven Umstellungen, die in den letzten Jahren im Rahmen der Schulharmonisierung nötig waren, sind die Schulleitungen sicher professioneller geworden und haben ihre Rolle gefunden.

Nehmen die Schulen die neuen Freiheiten, die sie in pädagogischer, organisatorischer und finanzieller Hinsicht haben, aus Ihrer Sicht genügend wahr?

Auch hier sehe ich natürlich grosse Unterschiede. Ich stelle jedoch mit Freude fest, dass viele Schulen sich auf den Weg gemacht haben und beispielsweise Schulentwicklungsprojekte angerissen haben, von denen andere später profitieren können. Corona hat diesen Initiativen, mit denen sich die einzelnen Schulen profilieren können, leider einen argen Dämpfer versetzt. Wenn du die letzten Kräfte mobilisieren musst, um nicht abzustürzen, um den Gipfel zu erreichen, kannst du währenddessen nicht die Aussicht geniessen und dir überlegen, was man sonst noch machen könnte, um die Qualität der Schule zu verbessern.

Wo würden Sie sich von den Schulen eine noch aktivere Rolle wünschen? Können Sie ein konkretes Beispiel dafür nennen?

Natürlich würde ich es begrüssen, wenn die Schulen die grossen Freiheiten noch mehr nützen würden, die sich ihnen gerade im pädagogischen Bereich bieten. Der Lehrplan und die Finanzen setzen dem natürlich gewisse Grenzen. Wie zum Beispiel die PS Isaak Iselin jüngst den vorhandenen Spielraum für ihr Zirkus Luna-Projekt genutzt hat, finde ich vorbildlich und mutig. Ich bin mir aber sehr wohl bewusst, dass es dazu eine gewisse eingespielte Routine in einer Schulleitung braucht. Es dauert erfahrungsgemäss etwa drei Jahre, bis jemand, der neu in eine Schulleitung kommt, die Schule gut genug kennt, um Projekte initiieren zu können.

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Ausschnitt aus der Gestaltung des Schwerpunkts zu den teilautonomen Schulen von Cristina Bortolas.

Wo nehmen Sie bei den Schulen am ehesten Unzufriedenheit war? Immer wieder kritisiert wird etwa, dass die Fachstellen zu viel reinreden können und die Freiheit der Schulen einschränken?

Diesen Eindruck habe ich überhaupt nicht und ich kann diese Kritik deshalb nicht nachvollziehen. Die Fachstellen haben als Ziel, die Schulleitungen zu unterstützen und diese mit guten Ideen zu beliefern. Wenn einzelne Schulleitungen dies als Belästigung wahrnehmen sollten, dann müssen wir dies in der Volksschulleitung natürlich ernst nehmen. Hilfe, die man nicht verlangt hat, kann natürlich leicht einmal als Bevormundung wahrgenommen werden. In den vergangenen zwei Jahren habe ich aber den Eindruck gewonnen, dass die Inputs der Fachstellen sowie der gesamten Volksschulleitung von den Schulleitungen in der Regel geschätzt werden.

Anders gefragt: Wo interpretieren die Schulen die neuen Freiheiten zu offensiv? Können Sie auch hier ein konkretes Beispiel nennen?

Dass die Schulen hier zu offensiv vorgehen, ist eigentlich nicht der Fall. Die Schulleitungen wissen ganz gut, wo ihre Grenzen sind. Es gibt ja gesetzliche Vorgaben. Und es gibt den Lehrplan. Dieser ist die grosse Klammer und gibt den Schulleitungen einiges vor. Das Gegenteil ist vielmehr der Fall: Ich würde mir wie gesagt wünschen, dass die Schulleitungen in Bezug auf die Teilautonomie noch mehr Initiative ergreifen würden.

Sie outen sich als richtiger Fan der Teilautonomie. Diese hat doch auch Risiken. Sehen sie beispielsweise nicht die grosse Gefahr, dass die Schulen mit der Zeit auseinanderdriften und es mit der Zeit zu grosse Unterschiede gibt zwischen den einzelnen Schulen?

Diese Gefahr schätze ich nicht als besonders gross ein. Die Mitglieder der Volksschulleitung sind ja nah dran an den Schulen und bekommen mit, was läuft. Natürlich braucht es an der Volksschule einen einheitlichen Rahmen wie den Lehrplan, der dafür sorgt, dass das Angebot überall ähnlich ist. Jede Schule darf und soll aber durchaus Alleinstellungsmerkmale entwickeln. Dass sich nicht alle genau gleich entwickeln, ist durchaus gewollt und eine Bereicherung.

Am Treffen mit den Schulleitungen im September 2021 war unter anderem auch die Forderung zu hören, Teilautonomie müsse unter dem Strich mehr Vorteile als bloss Mehraufwand generieren. Wie sehen Sie das?

Freiheiten sind immer auch mit Mehraufwand verbunden. Das liegt in der Natur der Sache. Die Teilautonomie ist für die Schulen also zwangsläufig mit Mehraufwand verbunden – meines Erachtens ist dies aber ein sehr lohnenswerter Mehraufwand. Ich appelliere ans Unternehmertum: Jede Schulleitung sollte sich auch etwas als Unternehmer fühlen und schauen, dass an ihrer Schule etwas Gutes, Tolles entsteht.

Vor Ihrem Amtsantritt war die Kommunikation zwischen den Schulleitungen und der Volksschulleitung ein Thema, auch in einem Vorstoss im Grossen Rat. Wie beurteilen Sie den Austausch heute? Ist die Kommunikation unterdessen besser geworden?

Ich bin ja jetzt erst seit rund zwei Jahren im Amt. Dieser Hinweis ist aber sicher berechtigt – und beschäftigt mich ebenfalls sehr. Die Kommunikation ist tatsächlich eine der grössten Herausforderungen bei der Führung. Man muss sich dabei allerdings immer auch bewusst sein, dass die Kommunikationsempfänger und die Kommunikationssender unterschiedliche Bedürfnisse haben. Diese sind erfahrungsgemäss nie deckungsgleich.

Und: Ist die Kommunikation mit den Schulleitungen besser geworden?

Ich hoffe es, ja! Wir sind jedenfalls bemüht, die Kommunikation stetig zu verbessern. Ich nenne Ihnen ein Beispiel: Im Herbst 2020, kurz nach meinem Amtsantritt, haben wir von Seiten der Volksschulleitung einen Corona-Newsletter etabliert, in dem die wichtigsten Informationen zu diesem Thema gebündelt wurden. Aufgrund der dazu erhaltenen Rückmeldungen kann ich sagen: Diese Art der Kommunikation wurde sehr geschätzt.

Die Schulleitungen benötigen eine pädagogische Ausbildung. Wäre eine Manager-Ausbildung für ihre anspruchsvolle Aufgabe nicht sinnvoller?

Schulleitungen sind in einem System von teilautonomen Schulen Schlüsselfiguren. Neben pädagogischem Know-how ist bei ihnen ganz stark auch die Fähigkeit gefragt, eine Organisation mit Dutzenden Mitarbeitenden zu führen. Diese Managementfähigkeiten erwerben sie in der Schulleitungsausbildung, einem CAS an der Pädagogischen Hochschule der Fachhochschule Nordwestschweiz. Zudem müssen alle neuen Schulleitungen ein Assessment durchlaufen. Anders als früher bleibt angesichts der Personalverantwortung und der vielen anderen Führungsfragen wenig bis gar keine Zeit mehr, selbst zu unterrichten.

Wäre es von daher nicht mehr zwingend, dass nur diplomierte Lehrpersonen Schulleiter werden können?

Sie sprechen da die Zürcher Regelung an, zu der zwei Seelen in meiner Brust schlagen. Zum einen hat es sich dort gezeigt, dass sich vor allem Personen, die nicht als Lehrperson, sondern auf andere Weise über Jahre mit dem Schulwesen in Verbindung gestanden sind, für die Übernahme von Schulleitungsposten melden und sich dort auch bewähren. In Basel-Stadt sehe ich aber keinen politischen Willen für eine Öffnung in diese Richtung. Solange wir die Schulleitungen mit qualifizierten Leuten mit pädagogischer Ausbildung besetzen können, wird sich daran wohl in nächster Zeit kaum etwas ändern.   

Welche Ziele im Zusammenhang mit dem Thema Teilautonomie haben Sie sich in den nächsten Jahren (sonst noch) gesetzt?

Teilautonomie ist wie gesagt eine wichtige Voraussetzung, dass von der Basis her vieles ausprobiert werden kann, das dann unter dem Strich zu einer Verbesserung der Schule als Ganzes führt. Wir brauchen Leuchtturmprojekte, auf die eine Schule stolz sein kann und die dann Nachahmer finden. Nicht alles, was im Rahmen der Teilautonomie ausprobiert wird, kann auf Anhieb gelingen und zu einem Leuchtturm für andere werden. Wichtig ist, dass Schulen den Mut aufbringen, den Spielraum, den sie haben, zu nutzen – es gibt auch so etwas wie erfolgreiches Scheitern, das einen weiterbringen kann.

Interview Valentin Kressler und Peter Wittwer

«Herausfordernd und spannend»

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Tove Specker, Schulleiterin Sekundarschule Theobald Baerwart.

«Teilautonomie muss gelebt werden, und ich persönlich finde es herausfordernd und spannend, diese auszuloten. In pädagogischen Belangen ist der Spielraum gross. Unser Schulmodell mit Atelierunterricht und niveaugemischten Lerngruppen als Ergänzung zu niveaugetrennten Klassen beweist, dass vieles möglich ist. Das Konzept haben wir partizipativ mit dem Kollegium entwickelt und haben uns damit bis an die Grenzen der rechtlichen Vorgaben herangewagt. Bei der Totalsanierung des Gebäudes durften wir erleben, dass die nötigen baulichen Voraussetzungen mitgetragen und unterstützt wurden. In andern Belangen ist der Spielraum kleiner. Ich würde mich darüber freuen, wenn wir so weit gehen dürften, dass Lehrpersonen in Arbeitsprozenten angestellt würden und nicht in Lektionen, wir die Arbeit am Standort anders denken und verteilen könnten. Da gäbe es noch Entwicklungspotenzial. Im Bereich Finanzen gibt es klare, strikte Vorgaben. Darüber ärgere ich mich nur noch selten, denn es hat auch Vorteile, in geordneten Bahnen und nicht im offenen Gewässer zu schwimmen.»

«Sehr bereichernd»

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Tobias Binz, Schulleiter Sekundarschule St. Alban

 «Als Schulleiter erlebe ich die Teilautonomie an unserem Standort als sehr bereichernd. Die meisten Prozesse sind definiert, eine reiche Palette an Fachleuten steht uns zur Verfügung, um uns und unser System zu entlasten. Am besten gefällt mir aber der autonome Teil in meinem Aufgabenbereich. Schul- und Personalentwicklungsprozesse können spezifisch gestaltet werden. Wir können in unserem Tempo, mit unseren Ansprüchen und auf unsere Schulkultur abgestimmt Projekte umsetzen. So finden wir die Möglichkeit, den Charakter unseres Standortes zu schärfen. Nehmen wir das aktuelle Beispiel des digitalen Wandels – wir können die Ziele, die Meilensteine, das Arbeitstempo und die Arbeitsform festlegen. Dazu dient uns, aber auch den anderen Standorten, ein Dokument mit Leitfragen, das uns zentral zur Verfügung gestellt worden ist. Das führt zu einem echten gelebten standortspezifischen Konzept. Vielleicht sollten wir uns noch offener über die teilautonomen Aspekte austauschen, und in Finanzbereichen wäre noch mehr Spielraum schön. Auf jeden Fall haben wir grossen Gefallen an all unseren Schulentwicklungsvorhaben.»  

 

Teilautonome Schulen – leicht erklärt

Wer mag sich noch an die Zeiten erinnern, als es in Basel statt Schulleitungen noch Rektorate und Inspektionen gab? Kaum zu glauben, dass es erst ein gutes Jahrzehnt her ist, seit in Basel-Stadt die Organisation der Basler Volksschulen radikal umgestellt worden ist. Der dafür erforderlichen Schulgesetzänderung gingen seinerzeit heftige politische Kontroversen voraus. Wie ist es zur Umstellung auf das System der teilautonomen Schulen in Basel-Stadt gekommen? Und was hat sich dadurch verändert? Die folgenden elf FAQs, die auf einer Schrift des ehemaligen Volksschulleiters Pierre Felder basieren, liefern dazu Antworten.

Seit wann gibt es die Teilautonomie an den Basler Volksschulen?

Die Einführung erfolgte in Etappen: Auf der Sekundarstufe I ab Schuljahr 2009/10 und auf der Primarstufe ab Schuljahr 2011/12 (in den Landgemeinden Riehen und Bettingen erfolgte die Einführung ein Jahr früher). Der Einführung ging am 1. Juni 2008 eine kantonale Volksabstimmung voraus, da gegen den vom Grossen Rat 2007 verabschiedeten Ratschlag betreffend «Teilautonomie und Leitungen an der Volksschule. Änderung des Schulgesetzes» das Referendum ergriffen wurde. Die Schulgesetzänderung, die auch und gerade in Schulkreisen heftig umstritten war, wurde mit 52,5 Prozent Ja-Stimmen an der Urne angenommen. Das ebnete den Weg zur späteren Schulharmonisierung und zur Bildung des Bereichs Volksschulen mit gut drei Dutzend teilautonomen Schulstandorten.

Wer waren die treibenden Kräfte hinter der Einführung in Basel-Stadt?

Die Einführung der teilautonomen Schulen in Basel-Stadt fiel in die Amtszeit von Regierungsrat Christoph Eymann. Als führender Kopf hinter dieser Reform gilt allerdings der 2014 pensionierte Volksschulleiter Pierre Felder. Vor der Volksabstimmung hat er als erster Leiter Volksschulen Basel-Stadt die wichtigsten Punkte in einer (für die komplizierte Materie sehr verständlichen) 44-seitigen Schrift «Teilautonomie und Leitungen in der Volksschule von Basel-Stadt» festgehalten, auf die sich dieser Text im Wesentlichen abstützt.

Teilautonome Schulen – was heisst das eigentlich?

Einfach gesagt: Mit der Schulgesetzrevision von 2008 wurden viele Kompetenzen, die vorher zentral von Stufenrektoraten und Inspektionen unter dem Dach eines Ressorts Schulen wahrgenommen wurden, auch auf der Primar- und Sekundarstufe I hinunter an die einzelnen Standorte verlagert. Die Lehrpersonenteams seien auf Freiräume angewiesen, um den örtlichen Gegebenheiten und den individuellen Bedürfnissen ihrer Schülerinnen und Schüler gerecht zu werden, begründet Pierre Felder im Vorwort der Broschüre diese Kompetenzverschiebung.

Wie hat sich die Leitungsorganisation verändert?

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Mit der Reform wurden die bestehenden Schulhausleitungen an den Volksschulen zu Schulleitungen aufgewertet. Dazu wurden sie mit weitreichenden Kompetenzen in pädagogischen, organisatorischen und finanziellen Fragen ausgestattet. Neu wurden sie einer Volksschulleitung unterstellt, die aus dem Zusammenschluss der Rektorate gebildet wurde. In jedem Schulhaus gibt es seither zudem einen Schulrat, der anstelle der früheren Inspektionen eine direkte demokratische Kontrolle der Öffentlichkeit garantiert.

Und die Berufs- und Mittelschulen?

Die oben geschilderte Reorganisation beschränkte sich – wie dem Titel des Ratschlages zur Schulgesetzrevision zu entnehmen ist – auf die Volksschule. An den weiterführenden Schulen war, so Pierre Felder, «die Teilautonomie der einzelnen Schulen schon vorher verwirklicht». Bereits unter dem Dach des umfassenden Ressorts Schulen waren die Mittelschulen freier, eigene Profile zu entwickeln. Zwar setzen auf der Sekundarstufe II nationale Vorgaben wie die Berufsbildungsgesetzgebung oder die Maturitätsanerkennungsverordnung klare Grenzen. Der kantonale Lehrplan und die Stundentafeln, die es beispielsweise den Gymnasien überlässt, wie sie die Gesamtlektionenzahl für die einzelnen Fächer auf die Jahre verteilen wollen, lässt den Mittelschulen aber deutlich mehr Spielraum, als es der Lehrplan 21 oder die Stundentafeln auf der Volksschulstufe zulassen.  

Was bringt den Schulen die Teilautonomie?

«Die Regelung der Teilautonomie und die Stärkung der Leitung im Schulhaus dienen dem ausschliesslichen Zweck, das Lernen und das Zusammenleben im Schulhaus zu optimieren»: Dieses Ziel hat Pierre Felder seinerzeit in seiner Broschüre postuliert. Er orientierte sich dabei am damals aktuellen Stand der Forschung:  Der bekannte St. Galler Wirtschaftspädagogik-Professor Rolf Dubs, der sich intensiv mit dem Thema teilautonome Schulen befasst hat, bezeichnete die basel-städtische Reform in einem Gutachten als «vom Grundsätzlichen her als durchdacht, gut und machbar».

Wie ist die Rollenverteilung im System der teilautonomen Schule geregelt?

Mit der Einführung der Teilautonomie wurde die operative Führung der Schulhäuser dezentralisiert, und die strategische und operative Führung der gesamten Volksschule hingegen zentralisiert. Das alles diene dem Kerngedanken, das Lernen und das Zusammenleben in den einzelnen Schulhäusern zu optimieren, begründet Pierre Felder diese Gewichtsverlagerung.

Was macht die Volksschulleitung?

Führungsaufgaben, die in anderen Kantonen bei den Gemeindebehörden liegen, werden im Stadtkanton von der Volksschulleitung wahrgenommen (Die Primarschulen in den Landgemeinden Riehen und Bettingen nehmen hier eine Sonderstellung ein). Auch teilautonome Schulen müssen eingebunden sein in eine Ordnung, die alle Schulhäuser und alle Stufen umfasst und kontinuierliche Schullaufbahnen sowie ein Höchstmass an Chancengerechtigkeit garantiert. Dafür ist die Volksschulleitung besorgt. Ihre Aufgabe ist es ausserdem, dafür zu sorgen, dass die Unterschiede nicht zu gross werden und die notwendigen Ressourcen zur Verfügung stehen. Sie trägt die Verantwortung für das Budget der gesamten Volksschule, legt strategische und operative Leitlinien fest und kann in Konfliktfällen als nächsthöhere Instanz angerufen werden.

Warum sind die Schulleitungen so wichtig?

Die Einführung von Schulleitungen war das eigentliche Kernstück der Reform. Sie legte den Grundstein für den anschliessenden Prozess der Schulharmonisierung. In pädagogischen, organisatorischen und finanziellen Fragen werden den professionalisierten Schulleitungen von Gesetzes wegen die notwendigen Kompetenzen und Zeitressourcen eingeräumt, um ihrer Schule zusammen mit dem Kollegium ein eigenständiges Profil zu verleihen. Die Schulleitungen bestehen in der Regel aus zwei bis drei Leitungspersonen, die ihre Leitungsaufgaben untereinander aufteilen.  

Für was braucht es Schulräte?

In jedem Schulhaus gibt es seit der Reform einen Schulrat. Dieser besteht jeweils aus gewählten Vertreterinnen und Vertretern der Öffentlichkeit, der Eltern sowie der Schule. Er stellt sicher, dass deren Interessen in die teilautonome Gestaltung des Schulbetriebes einfliessen und dient den Schulleitungen in erster Linie als Sparringspartner. Die Mitglieder des Schulrates liefern den Schulleitungen und dem Kollegium eine Aussensicht und ermöglichen so in beratender und vermittelnder Funktion einen verstärkten Dialog zwischen Schule und Gesellschaft.  

Was hat sich für die Lehr- und Fachpersonen verändert?

Mit der Verlagerung von Kompetenzen an die Basis wurden auch die Einflussmöglichkeiten des Kollegiums im Schulhaus neu geregelt. Nach dem Vorbild der oberen Schulen wurden mit der Einführung der teilautonomen Schulen auch auf Volksschulstufe Schulkonferenzen etabliert. Die Schulkonferenz ist seither auch an den obligatorischen Schulen das gesetzlich vorgeschriebene Mitwirkungs- und Austauschorgan einer einzelnen Schule. Sie wird von der Schulleitung vor allen wichtigen Entscheidungen einbezogen und kann so (unter dem Dach der Kantonalen Schulkonferenz) die Bedürfnisse der Lehr- und Fachpersonen direkt vor Ort einbringen. Peter Wittwer und Valentin Kressler

«Ein eigenes Profil»

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Andrea Lindenmann, Schulleiterin Primarstufe Volta

«Als teilautonome Schulleitungen haben wir die Aufgabe, unseren Standort in pädagogischer, personeller, administrativer und organisatorischer Hinsicht zu leiten. Hierbei schätze ich den Gestaltungsspielraum sehr. In Zusammenarbeit mit meiner Co-Schulleitung und dem Kollegium haben wir die Chance, den eigenen Standort in der Kultur der Zusammenarbeit zu fördern und ihm durch Entwicklungsschwerpunkte ein eigenes Profil zu geben und so Identifikation möglich zu machen. Dabei setzen wir uns zum Ziel, eine positive Lernumgebung für unsere Schülerinnen und Schüler zu kreieren und unsere Entwicklungen regelmässig zu evaluieren. Freiheiten hat man in solchen Prozessen immer so viele, wie man sich innerhalb des vorgegebenen Rahmens nimmt. Die standortspezifische Umsetzung der Digitalisierung hat uns beispielsweise eine Einbindung des Elternrats ermöglicht. Daraus resultierten dann Workshops für Eltern. Solche Möglichkeiten stärken das gegenseitige Verständnis.»  

«Wahnsinnig entlastend»

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Sandra Pichler, Schulleiterin Primarstufe St. Johann

«Als Schulleitungsmitglied habe ich nie in einem anderen Modell als dem der teilautonomen Schule gearbeitet. Von daher kann ich schlecht vergleichen, was wäre, wenn wir nicht weitgehend vor Ort Entscheidungen treffen könnten, die für unseren Standort stimmen. Dabei können wir in unserem Kanton auf ein gutes Netzwerk von Unterstützungsleistungen zurückgreifen, die für uns unter dem Strich eine wahnsinnige Entlastung bringen. Die Zusammenarbeit mit Fachstellen, aber auch anderen Stellen des Departements empfinde ich sehr konstruktiv. Als Bevormundung empfinde ich das nicht – gerade bei der Auswahl des Personals sind wir immer freier, die Leute anzustellen, die zu uns passen. Im pädagogischen Bereich wird unsere Autonomie allerdings immer wieder etwas beschnitten, indem die Volksschulleitung gewisse Themen wie etwa die Förderung des sprachbewussten Unterrichts oder die Digitalisierung für alle Standorte als prioritär erklärt hat. Wir sind dann gefordert, eine Balance zwischen den eigenen gesetzten Schwerpunkten und den gesetzten Ansprüchen zu finden. Wenn ich mir etwas wünschen könnte, so würde ich mir bei den zusätzlichen Ressourcen insbesondere bei den verstärkten Massnahmen mehr Flexibilität wünschen. Hier wird einiges von aussen gesteuert, und wir würden gerne mehr nach eigenem Gutdünken einsetzen können.»  

«Im alten System würde das heute kaum mehr funktionieren»

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Doris Ilg erinnert sich noch gut an die Zeit, als es in Basel-Stadt noch Stufenrektorate gab.

Christian Griss und Doris Ilg sind die einzigen Mitglieder der aktuellen Volksschulleitung, die den Übergang zur teilautonomen Schule in Basel als Leitungspersonen aktiv begleitet haben. Im Rückblick sind sich die beiden einig, dass ihr Leitungsjob im Vergleich zu der Zeit, als ihnen als Rektoren noch hunderte Lehrpersonen direkt unterstellt waren, ein ganz anderer geworden ist.

«Weil ich anfänglich der ganzen Umstellung eher kritisch gegenüberstand, hat man mir den Wechsel immer wieder mit dem Argument schmackhaft zu machen versucht: Nachher musst du weniger arbeiten.»  Dieses Versprechen habe sich definitiv nicht erfüllt, sagt Doris Ilg, die vor der Einführung von Schulleitungen als Rektorin für die Primarschule (damals noch ohne Kindergärten) zuständig war. Darauf angesprochen, was sich denn zum Guten (oder eventuell auch zum Schlechten) verändert habe, entgegnet sie postwendend: Dass die Fragen eher lauten müsse: «Wäre das damalige System den vielen zusätzlichen Herausforderungen, die seit der Umstellung auf die Schulen zugekommen sind, überhaupt noch gewachsen?»

Schulleitungen sind näher dran

Zumindest was die Primarstufe angeht, ist sie diesbezüglich sehr skeptisch: «Die integrative Schule und gesellschaftliche Entwicklungen haben in den letzten Jahren zusätzliche Fachpersonen in die Schulen gebracht. Mit der Einführung der Tagesstrukturen wurde ein Parallelbetrieb aufgebaut. Und der Anteil der Lehrpersonen mit Teilzeitpensen hat stark zugenommen. Ich glaube nicht, dass sich all das und noch einiges mehr heute noch ohne Schulleitungen vor Ort bewältigen liesse.» Das Zusammengehörigkeitsgefühl  der Lehrpersonen einer Schulstufe über den Standort hinaus habe mit der Umstellung zweifellos gelitten. Dafür habe das erklärte Ziel, die Leitung in die Schulen zu bringen, punkto Schulentwicklung oder Unterrichtsqualität sicher einiges Positive in Bewegung gesetzt: «Als Rektorin hatte ich rund 500 Lehrpersonen unter mir, die ich alle mehr oder weniger persönlich kannte. Wie sie unterrichten, wusste ich allerdings bei der grossen Mehrheit nicht. Denn anders als die Schulleitungen heute machte ich damals in der Regel nur Unterrichtsbesuche, wenn ein Konflikt auftauchte.»

Ähnlich sieht dies, zumindest was das Thema Schulbesuche angeht, bei Christian Griss aus. Auch er war mit rund 400 direktunterstellten Lehrpersonen an der WBS (Weiterbildungsschulen) nicht so nahe dran am Unterricht wie heute die Schulleitungen. In der damaligen «Konferenz der Rektorinnen und Rektoren der mittleren Schulen» (kurz KRMS) war die Einführung von Schulleitungen deshalb schon lange vor der Schulgesetzrevision ein Thema. Das führte dazu, dass die teilautonomen Schulleitungen auf seiner Stufe schon zwei Jahre vor den Primarschulen etabliert wurden. Trotz all der unbestrittenen Vorteile, die diese Umstellung brachte, trauert er ein wenig den Zeiten nach, «in denen vieles noch persönlicher war und die Abläufe einfacher waren». Umgekehrt fühle er sich aber auch entlastet, denn heute würden viele Probleme schon direkt vor Ort gelöst, bevor sie zu ihm kommen.

Einig sind sich Griss und Ilg, dass die Schulen vor allem was den pädagogischen Bereich angeht, ihren Handlungsspielraum durchaus noch stärker ausschöpfen könnten (siehe dazu auch das Interview mit Volksschulleiter Urs Bucher). Auch das Argument, dazu fehlten die nötigen finanziellen Ressourcen, lassen sie nur bedingt gelten. «Eine Schulleitung, die geschickt plant, hat finanziell durchaus einigen Spielraum, um etwas Neues auszuprobieren», ist Doris Ilg überzeugt. Am meisten Einschränkungen sehen die beiden im Personalbereich: Die Schulleitungen haben zwar die Kompetenz und den Auftrag, das richtige Personal anzustellen. Personalrechtliche Vorgaben wie verpflichtende Anstellungsverhältnisse und Arbeitszeitmodelle schränken ihren Handlungsspielraum aber in der Praxis stark ein. Das war schon früher so.

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Christian Griss war vor seinem Wechsel in die Volksschulleitung als Rektor für die WBS zuständig.

Es wäre noch Spielraum vorhanden…

Eine grosse Gefahr, dass die teilautonomen Schulen auf ihrer Stufe zu einem Auseinanderdriften der einzelnen Standorte führen könnte, sehen beide nicht. «Auf der Primarstufe entwickeln die Standorte durchaus eigene Profile. Da diese sich an den Bedürfnissen der Schülerinnen und Schüler des Einzugsgebiets orientieren, sehe ich hier keinen Konflikt mit dem Quartierschulprinzip, sondern Potenzial», sagt Doris Ilg.

Auf der Sekundarstufe I habe sich die Zuteilungsproblematik im Vergleich zu den Vorgängerschulen OS und WBS schon etwas verschärft, räumt Christian Griss ein: «Heute vergleichen die Eltern natürlich mehr, welcher Standort für ihr Kind der richtige ist. Da spielt es dann schon eine Rolle, ob man sein Kind beispielsweise an eine Atelierschule schicken möchte oder nicht.» Insgesamt sind aber beide Volkschulleitungsmitglieder davon überzeugt, dass die Klammer auf allen Stufen durch den Lehrplan und die gesetzlichen Vorgaben stark genug ist, um eine noch etwas stärkere Profilierung der Standorte auszuhalten. Peter Wittwer

«Basel befindet sich in einer besonderen Position»

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Professor Pierre Tulowitzki, Leiter Professur Bildungsmanagement und Schulentwicklung am Institut Weiterbildung und Beratung der PH FHNW

Wie stehen die Basler Volksschulen in Sachen Teilautonomie im Vergleich mit den anderen Kantonen da? Professor Pierre Tulowitzki, Leiter Professur Bildungsmanagement und Schulentwicklung am Institut Weiterbildung und Beratung der Pädagogischen Hochschule der Fachhochschule Nordwestschweiz (PH FHNW) in Windisch, hat für das Basler Schulblatt exklusiv eine kurze Einschätzung vorgenommen.

«Die Basler Volksschulen befinden sich in Sachen Teilautonomie im Bildungsraum Nordwestschweiz in einer besonderen Position. Vor knapp einem Jahrzehnt wurden im Zuge der Anpassungen der Leitungsstrukturen die Einzelschulen und Leitungen vor Ort grundsätzlich gestärkt. Gleichzeitig existiert in Basel-Stadt neben der Schulleitung auch eine Stufenleitung, was sich auf die Handlungsspielräume der Einzelschule auswirkt und die Komplexität rund um Steuerungs- und Abstimmungsprozesse erhöht.

Teilautonomie lässt sich auch über Ressourcenautonomie betrachten. Im Aargau können Schulleitungen diesbezüglich aufgrund einer Ressourcenzuteilung über differenzierte Schülerinnen- und Schülerpauschalen verbunden mit einem hohen Gestaltungsraum sehr frei entscheiden, wie sie die finanziellen Ressourcen einsetzen wollen. Im Vergleich dazu erscheint die Ressourcenautonomie der Schulleitungen in Basel-Stadt etwas beschränkter auszufallen, da Ressourcen in verschiedenen Budgets (zum Beispiel Lektionenbudget, Budget für das Qualitätsmanagement) zugeteilt werden.

Aus dem Schulleitungsmonitor Schweiz 2021 wissen wir, dass die Schule sich pädagogisch weiterentwickeln zu können und neue Ideen erproben zu können, wichtige Motive bei der Berufswahl von Schulleitenden sind. Schulleitungen aus Basel-Stadt haben die Bedeutung dieser beiden Motive sogar noch höher eingeschätzt als der gesamtschweizerische Durchschnitt der Befragten.

In der internationalen Forschung zu Schulsystemen gibt es deutliche Hinweise darauf, dass eine verstärkte Autonomie der Einzelschule die Arbeitsbedingungen auf Schul- und Unterrichtsebene positiv beeinflussen kann. Dies wiederum kann sich positiv auf die innerschulische Kooperation und die Leistungen der Schülerinnen und Schüler auswirken. Auch können Schulen mit höherer Teilautonomie sich in der Regel besser an die jeweiligen Bedingungen vor Ort anpassen.»

www.schulleitungsmonitor.ch

Redaktion: Valentin Kressler

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