Wer unterrichtet hier?
Eine Schülerin rät
«Das Erste, was mir im Raum auffällt, sind die Stühle, Bänke und Schränke. In der Mitte des Zimmers ist ein grosser Tisch und daneben ein Hocker. Auf dem Tisch stehen einige grosse Stiftbehälter mit vielen farbigen Stiften – Filzstifte und Farbstifte, denke ich. Mit denen könnte ich schöne Bilder malen. Zum Beispiel würde ich ein Bild von einer Prinzessin mit einem Regenbogen malen. Mein Bild würde auch links an der Wand aufgehängt werden. Einen Autostrassen-Teppich hat dieses Schulzimmer auch, auf welchem sicher viele Kinder mit Spielzeugautos spielen. Hinten im Zimmer steht ein Sitzsack, auf dem man sehr gut Bücher anschauen kann, also ein Lese-Sitzsack. Dazu gibt es in diesem Zimmer etwas, das aussieht wie ein spitzes Dach auf einem Haus, unter welchem man sicher auch sehr gut spielen oder lesen kann. Ich sehe Stühle mit Rädern unten dran. Mit denen kann man Leute rumschieben, die darauf sitzen. Dieses Zimmer sieht so aus, als könnte es ein Kindergartenzimmer sein, weil es so viele tolle Sachen zu machen gibt. Links im Raum ist ein grosses Fenster. Wenn ich da hinausschaue, sieht es für mich aus, als ob dieser Kindergarten einen Garten oder einen Spielplatz hat – genauso wie mein Kindergarten. Links unter dem Tisch stehen Kisten, die wahrscheinlich CDs drin haben – weil ein CD-Player auf dem Tisch steht. Mit dem kann man sicher gut Stopptanz spielen. Sobald die Musik aufhört, müssen alle in einem Freeze stehen bleiben. Mir fällt gerade auf, dass die Lichter in diesem Raum sehr hell sind – vielleicht sogar zu hell. Das Alphabet, das aufgehängt ist, wird sicher benutzt, um den Kindern das Schreiben beizubringen. Ich habe das Gefühl, dass in diesem Kindergartenzimmer eine Lehrerin und ein Lehrer viele Kinder zusammen unterrichten. Sie bringen den Kindern das Alphabet bei, haben Vorlesestunden und malen zusammen mit den Kindern am Tisch. Die Lehrerin ist, glaube ich, eine gute Vorleserin, und mit dem Lehrer kann man gut spielen.»
Aufgezeichnet von Erdit Sadiki
Ella bemerkte richtig, dass hier Kinder malen, spielen und das Alphabet lernen. An der Schule des Bundesasylzentrums, in einer kleinen Baracke beim Grenzübergang Otterbach, unterrichtet Murielle Scherrer Kinder zwischen vier und acht Jahren – eine Mischung aus Kindergarten- und Primarschulkindern. Eine pädagogische Herausforderung, denn die Klassenzusammensetzung ändert sich ständig.
Die Kinder bleiben alle unterschiedlich lange in der Klasse, von wenigen Tagen bis zu den 140 Tagen bis zum Asylentscheid. Oftmals erfährt Murielle Scherrer erst am Vorabend, ob wieder ein Kind die Klasse verlässt und ein neues Kind von der Warteliste zur Klasse dazu stösst. Der Schulunterricht ist für die Kinder nur eine Zwischenlösung bis zur Einschulung in einer Gemeinde oder bis zu dem Zeitpunkt, wo sie bei negativem Asylentscheid die Schweiz wieder verlassen müssen. Murielle Scherrer beginnt den Tag mit ihren Kindern im Sitzkreis und mit Gesang. «Als Erstes kontrolliere ich, wer noch da ist und wer zum ersten Mal dabei ist. Der Sitzkreis ist unser Zentrum, wo wir uns begrüssen, begegnen und verabschieden.»
Nur der Augenblick zählt
Bei allen Unterschieden zur Regelschule sind die pädagogischen Anforderungen ähnlich. Das ständige Kommen und Gehen macht das Unterrichten aber nicht einfacher. Murielle Scherrer verliert darüber nicht zu viele Worte. Das ist in dieser Schule unvermeidbar und gehört zum Alltag. «Ich versuche diesem Aspekt, so gut es geht, gerecht zu werden. Wichtig ist es, dass die Kinder sich wohl und akzeptiert fühlen. Für manche ist es die erste Schulerfahrung in ihrem Leben», erzählt Murielle Scherrer.
So weit wie möglich sollen sie auch schon erste Deutschkenntnisse erwerben. An dieser Schule neben dem Stacheldrahtzaun des Gefängnisses Bässlergut zählt vor allem der Augenblick. «Wenn wir beispielsweise etwas pflanzen, erlebt oftmals nur ein Teil der Kinder tatsächlich, wie aus dem Samen eine Pflanze wird oder aus der Raupe ein Schmetterling. Trotz allem bemühe ich mich, eine minimale Kontinuität zu gewährleisten und Themen längerfristig zu behandeln. Die Bastelarbeiten plane ich so, dass die Kinder ihre Produkte und Arbeiten fertigstellen und mitnehmen können.» Trotz der begrenzten Aufenthaltsdauer sind diese Schulerfahrungen für die Kinder enorm wertvoll.
Vielfalt und Autonomie
«Das Schönste in diesem Klassenzimmer ist die Vielfalt», bemerkt Murielle Scherrer. Genauso vielfältig sind auch ihre Unterrichts- und Kommunikationsmethoden. Ihre Worte begleitet sie meistens mit Bildern und Piktogrammen, damit sie möglichst gut verständlich sind.
Für Abwechslung sorgt zudem der Unterricht ausserhalb des Klassenzimmers. «Die Wälder der Langen Erlen sind unser zweites Klassenzimmer.» Einmal pro Woche unterstützt ein Naturpädagoge Murielle Scherrer und bringt den Kindern die Vielfalt und Geheimnisse der Flora und Fauna der Wälder näher. «Manchmal machen wir Feuer und kochen. Holunderblüten im Teig frittiert stehen demnächst auf dem Menüplan.» Diese Ausflüge geniessen die Kinder sehr.
Die Elternarbeit entfällt an dieser Schule weitgehend. Lernberichte müssen keine geschrieben und besprochen werden. «Dank dieser Entlastung habe ich mehr Zeit für die Kinder. Die Schule ist sehr klein und autonom. Neue Ideen können hier sehr schnell umgesetzt werden. Das ist fantastisch!»
Text und Foto: Grischa Schwank