«Wir werden sehen, ob sich das auszahlt»
Eine Mehrheit des Grossen Rates ist überzeugt, dass es an den Basler Schulen nach Corona temporäre «Lernbrücken» für diejenigen braucht, die nun Lernlücken aufweisen. Dagegen kann man doch eigentlich nichts einwenden?
Urs Bucher: Wenn es nötig ist, kann es sicher nicht schaden, Lernbrücken zu bauen. An den Volkschulen haben wir aber aktuell keine Hinweise, dass dies wirklich nötig ist und die Instrumente, die den Basler Lehrpersonen bereits zur Verfügung stehen, dazu nicht ausreichen. Bei den Checkresultaten etwa stellen wir kein generelles Absacken fest. Individuelle Lernlücken zu erkennen und durch gezielte Förderung darauf zu reagieren, gehört unabhängig von Corona zum Auftrag der Lehrpersonen.
Ueli Maier: Auch auf der Sekundarstufe II haben wir beispielsweise bei den Lehrabschlussprüfungen keine Anhaltspunkte, dass ganze Jahrgänge derart unter den Folgen von Corona gelitten haben, dass es nun Korrekturen am System gebraucht hätte. Natürlich gibt es Einzelfälle, die ausserordentlich betroffen waren. Doch für diese gibt es auch ohne eine generelle Erleichterung der Übertritte die Möglichkeit, krankheitsbedingte Ausfälle individuell zu kompensieren.
Weshalb hat sich der Departementsvorsteher gegen eine Überweisung der Motion Bothe gewehrt?
Maier: Wir verfügen wie gesagt im basel-städtischen Schulsystem über genügend Instrumente, um solche Sonderentwicklungen aufzufangen. Nach dem unglaublichen Effort der Lehrpersonen habe ich grosse Zweifel, dass es nun im Nachhinein für die grosse Mehrheit solche Massnahmen braucht, wie wir sie nun umsetzen müssen.
Bucher: Dass die Schulen – und damit meine ich nicht nur die Schülerinnen und Schüler, sondern auch die Lehr- und Fachpersonen sowie Schulleitungen – während der Pandemie grossen Zusatzbelastungen ausgesetzt waren, ist unbestritten. Es gab vermehrt Ausfälle aus gesundheitlichen Gründen, doch das Erreichen der Lehrplanziele war deshalb als Ganzes nie in Frage gestellt – ausser in extremen Ausnahmefällen. Wir haben von uns aus deshalb keinen Grund gesehen, die Schulen nun noch durch zusätzliche Aufgaben zu belasten.
Welche negativen Auswirkungen befürchten Sie?
Maier: Beim Eintritt in die Gymnasien und die FMS besteht die Gefahr, dass nicht nur Schülerinnen und Schüler, die durch Corona zurückgeworfen wurden, zu lange im falschen Angebot verweilen. Wenn falsche Weichenstellungen nicht möglichst rasch korrigiert werden, wirkt sich das erfahrungsgemäss negativ auf das Selbstwertgefühl und die Bildungsmotivation der Betroffenen aus.
Bucher: Die Umsetzung der Motion belastet die Sekundarschulen zusätzlich. Wir werden sehen, ob das freiwillige Angebot genutzt wird und ob es die gewünschte Wirkung entfalten kann. Aus der Bildungsforschung weiss man, dass die Wirkung von Nachhilfeunterricht beschränkter ist, als man gemeinhin annimmt.
Braucht es Ihrer Meinung nach wegen Corona gar keine zusätzlichen Massnahmen oder sähen Sie bessere Alternativen?
Bucher: Dass nun Vorgaben in der Schullaufbahnverordnung vorübergehend gelockert und zusätzliche Fördermassnahmen gefordert werden, ist für mich auch Ausdruck davon, dass unsere Gesellschaft immer weniger Toleranz für jede Art von Abweichungen aufbringt. Man sollte sich nicht voreilig gleich Sorgen machen, wenn in der Entwicklung der Kinder ein wenig vom Normwert abgewichen wird, mahnte schon der Kinderarzt und Sachbuchautor Remo Largo in seinen Büchern. In diesem Sinn empfehle ich auch in diesem Fall den Eltern und den Lehrpersonen etwas mehr Gelassenheit.
Maier: Ich glaube, wir in Basel und der Schweiz haben beim Umgang mit Corona im internationalen Quervergleich einen guten Mittelweg gefunden. Es gibt Härtefälle, doch für diese ist unser Schulsystem flexibel genug, um darauf ausgleichend reagieren zu können. Die Mehrheit der Kinder und Jugendlichen sind resilient genug, um mit solchen ausserordentlichen Situationen zurechtzukommen.
Mit Überweisung der Motion haben die Volksschulen aber nun den Auftrag, beim Eintritt in die Sekundarschule Lernstanderhebungen zu machen und Förderangebote aufzubauen, die Kinder mit Rückständen auf freiwilliger Basis in Anspruch nehmen können. Wie gedenken Sie, diesen Auftrag des Parlaments umzusetzen?
Bucher: Eine Arbeitsgruppe ist nun unter grossem Zeitdruck daran, zu schauen, wie die Vorgaben der Motion sich in der Praxis umsetzen lassen. Die geforderten zusätzlichen Förderangebote wird es geben. Wie diese aussehen werden und wie wir die geforderten Lernstanderhebungen konkret durchführen können, wird derzeit ausgearbeitet. Die Schulen werden rechtzeitig in diesem Schuljahr erfahren, was konkret auf sie zukommt. Interview: Peter Wittwer
Wie sehen die Lernbrücken aus?
wit. Die Forderung des Grossen Rates nach «Lernbrücken für Lernlücken zum Ausgleich der Nachteile aufgrund der Corona-Schuljahre» (Motion Sandra Bothe, GLP) hat der Regierungsrat im Dezember formal mit einem Erlass eines Anhangs zur Schullaufbahnverordnung erfüllt. Dieser tritt auftragsgemäss sofort in Kraft, ist aber vorläufig nur bis zum Sommer 2024 wirksam. Auf Basis dieses Anhangs werden an den Schulen im laufenden und im nächsten Schuljahr die folgenden Erleichterungen und zusätzlichen Massnahmen eingeführt:
- In den Schuljahren 2022/23 und 2023/24 können die Schülerinnen und Schüler der 1. Klasse der Sekundarschule nach dem ersten Semester in ihrem Leistungszug bleiben, auch wenn sie in einen Leistungszug mit tieferen Anforderungen wechseln müssten.
- Für die Schülerinnen und Schüler, die im laufenden Schuljahr provisorisch in die 1. Klassen des Gymnasiums und der FMS übergetreten sind, gelten für die Beförderung die Bestimmungen für definitiv übergetretene Schülerinnen und Schüler. Und im Sommer können auch diejenigen Schülerinnen und Schüler definitiv ins Gymnasium oder die FMS übertreten, die nur in einem der beiden Zeugnisse der 3. Klasse den für einen Übertritt notwendigen Notenschnitt erreicht haben oder die die freiwillige Aufnahmeprüfung bestanden haben.
- Auftragsgemäss wird an den Volksschulen beim Eintritt in die Sekundarschule bei allen der Lernstand in den Grundlagenfächern (Deutsch, Mathematik, Fremdsprachen) erhoben. Für diejenigen Erstklässlerinnen und Erstklässler, bei denen Lernlücken festgestellt werden, wird ein zusätzliches Förderangebot aufgebaut, das diese dann freiwillig besuchen können.